Die SPD hat die Europawahl zur Zwischenbilanz von Olaf Scholz gemacht. Das Ergebnis ist verheerend.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat am Wahlabend einen bemerkenswerten Satz gesagt: Olaf Scholz sei „Teil unserer Gesamtaufstellung“. Das ist sprachlich in etwa so mitreißend, wie es der ganze Wahlkampf der SPD war. Es ist das unfreiwillige Eingeständnis, dass der Bundeskanzler unter den Sozialdemokraten nicht mehr als herausragende Persönlichkeit wahrgenommen wird. Und es klingt wie die Ankündigung, dass Scholz sich nach diesem grauenhaften Wahlergebnis zwischen den Genossen einzureihen hat. Man weiß nur noch nicht, zu welchem Zweck: Soll er geschützt, bevormundet oder aus dem Spiel genommen werden?
Die SPD hat einen Kanzlerwahlkampf versucht und ist damit jämmerlich gescheitert. Sie hat Olaf Scholz auf die Plakate gedruckt und so höchstselbst die Europawahl zu einer Art Zwischenbilanz des Kanzlers erklärt. Das war ein taktischer Fehler. Denn diese Bilanz sieht für alle sichtbar verheerend aus: Die SPD liegt in einer bundesweiten Wahl erstmals hinter der AfD und verliert massiv an Sahra Wagenknecht. Besonnenheit und Frieden, die Schlagworte für Scholz‘ Außenpolitik, auf die er so stolz ist, haben nicht gezogen. Und auch im Regierungsbündnis ist kein Trost zu finden: Alle drei Parteien der Ampel-Koalition zusammen übertreffen gerade noch knapp das Ergebnis der Union.
Olaf Scholz zieht nicht
Olaf Scholz zieht nicht, auch wenn seine Büchsenspanner erzählen werden, dass ohne ihn die farblose Spitzenkandidatin Katarina Barley noch schlechter abgeschnitten hätte. In Wahrheit lässt das Ergebnis des Testlaufs mit der Fokussierung auf die Person des Kanzlers nur einen Schluss zu: Stand heute ist Scholz so schwach, dass die Union eine Bundestagswahl sogar trotz Friedrich Merz gewinnen – und die SPD wegen des Kanzlers verlieren könnte.
Was nun? Die CDU hat eine Vertrauensfrage und Neuwahlen ins Spiel gebracht. Das ist ebenso verständlich wie sinnlos. Koalitionen zerbrechen nicht unter dem Druck von außen, sie zerbröseln wegen mangelnden Zusammenhaltes im Innern. Und eine Regierungspartei opfert ihren Vormann nicht mit einem Schlag, sie entzieht ihm das Vertrauen schleichend. So ging es in der SPD mit Gerhard Schröder zu Ende und auch mit Helmut Schmidt.
Die Koalition wird erstmal weiter machen. Die SPD hat keine andere Wahl, weil alles andere den Verlust der Macht bedeuten würde. Die Grünen haben nach dem Europa-Wahlergebnis ebenfalls keinen Anlass, sich von einer Neuwahl etwas zu versprechen. Für sie, die Partei der Außenminister Joschka Fischer und Annalena Baerbock, kommt als Schock daher, dass selbst in einer Europawahl der Verdruss über die grüne Regierungsleistung so deutlich überwiegt – und dass die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre offenbar voll nach hinten losgegangen ist, weil bei Wählern unter 30 die Grünen uncool geworden sind. Die FDP schließlich, bislang stets der erklärte Wackelkontakt in der Ampel, kann sich ihr schwaches Ergebnis gerade noch so schönschwindeln, dass es keinen unmittelbaren Anlass gibt, das Licht auszumachen.
Die Möglichkeit des Bruchs aber schwebt weiter über dieser Koalition. Und nachdem sie es in zweieinhalb Jahren nicht geschafft hat, das Gefühl von Zusammengehörigkeit herzustellen, ist rätselhaft, wie es in einer Lage gehen soll, in der jede der drei Parteien jetzt vor allem an sich denken wird, und in einer Haushaltslage, in der Kompromisse oberstes Gebot sein müssen.