Unsere Kolumnistin kennt die Nazi-Sprüche junger Schnösel auf Sylt noch aus ihrer Jugend. Sie fragt sich: Was treibt Menschen, die alles haben, zum Hass?
Es gibt sie also noch, die Champagner-Nazis. Ich bin erstaunt, dass viele so überrascht sind von der Normalität rechtsextremen Denkens gerade bei den Wohlsituierten. Da hat man in Deutschland sieben Jahrzehnte Aufarbeitung hinter sich, und immer noch fragen Leute ernsthaft: „Wie bitte, das Böse kommt so normal daher?“
Das Land jubelt über Sandra Hüller im Film „The Zone of Interest“, in dem sie eine Frau spielt, die für ihren bürgerlichen Wohlstandstraum alles tut; sie lässt dafür sogar ihre Kinder neben einem Konzentrationslager aufwachsen. In jeder zweiten Rede zitiert irgendein deutscher Politiker Hannah Arendt, aber die Banalität des Bösen in der Gegenwart begreifen und bekämpfen will man ernsthaft nur selten.
Über die Leere der Sylt-Kids
Ist „Champagner-Nazis“ eine zu harte Bezeichnung für diese Sylt-Runde? Sie sahen doch aus wie normale Rich Kids mit dem üblichen Polohemd-Geschmack und der typischen selbstgefälligen Arroganz, die ihr eigentlicher Markenkern sind. Wenn aber solche Snobs ihre innere Leere mit Ausländer-raus-Fratze und Hitlerbart zur Schau stellen, muss niemand sie vor öffentlicher Verachtung in Schutz nehmen. Sie haben sich das selbst hart erarbeitet, dann sollte man es ihnen auch gönnen.STERN PAID 23_24 Sylt Titel 12.08
Ich habe das Video trotzdem nicht geteilt. Nicht, um die Snobs zu verschonen, sondern um mich und andere zu schützen. Alle Ausländerkinder der 90er Jahre kennen diese arroganten Reichenkinder, die zwischen Polenwitzen und Bösen Onkelz die Grenzen ihrer Eltern austesteten. Es war ihnen damals egal, wie das bei ihren Klassenkameraden ankam, die Ausländer waren. Zu der Zeit konnte niemand Deutscher werden, man musste schon als Deutsche geboren sein.
Der alltägliche Nationalismus ist wieder da
Diesen Nationalchauvinismus im deutschen Alltag hatte ich fast verdrängt. Ich will diese verwöhnten Gesichter nicht sehen, will ein Lied über Liebe nicht von ihnen verschandelt hören. „Aus-, Aus-, Ausländer raus“, das war der Nazi-Sound meiner Jugend. Wie ein Schlachtruf klang das damals. Die lieblich gesungene Verharmlosung dieser Parole, zu der Anfang der 90er Jahre Asylbewerberheime in deutschen Städten brannten, widert mich an.
Wieso fragt niemand, wie es dazu kommt, dass ausgerechnet diese alten Nazi-Sprüche wieder gegrölt werden, wo doch das Wort Ausländer aus den Diskussionen verschwunden ist? Heute streitet man über „Migranten“. Ich fürchte, dieser Rückfall verdankt sich auch der Tonlage, in der seit einigen Jahren wieder über Einwanderung geredet wird, vor allem, seit Angela Merkel nicht mehr Kanzlerin ist. Merkel hat versucht, dieses Kapitel der deutschen Geschichte Vergangenheit werden zu lassen. Doch Konservative und Liberale schlagen nun Töne an, von denen sie hoffen, damit die politischen Kräfte rechts außen bekämpfen zu können. Diesen Kampf können sie nicht dadurch gewinnen, dass sie deren Slogans in die Mitte holen. Die CDU unter Friedrich Merz will sich gern von Merkel emanzipieren. In Ordnung, doch muss sie das tun, indem sie in die Vergangenheit reist? Junge, wohlhabende Menschen, die ihnen zugeneigt sind, denken nun, Ausländerhass sei sexy.
Das Problem geht viel tiefer als Sylt. Es geht um die Lust vieler in diesem Land, rassistische Denkmuster kleinzureden. Sie wollen leugnen, wie tief verankert rechtsextremes Denken ist. Natürlich gibt es Empörungswellen nach Sylt, schnell folgen jedoch Verharmlosungswellen. Jenseits dieser Wellen gibt es zu wenige politische Programme dagegen. Es geht um junge Menschen, die alles haben könnten, warum also wählen sie Hass?