Nach den unerwarteten Verlusten bei der Parlamentswahl in Indien hat Premierminister Narendra Modi mit der Suche nach Bündnispartnern begonnen. Modis Bharatiya Janata Party (BJP) führte am Mittwoch Gespräche mit möglichen Koalitionspartnern.
Die BJP hatte bei der Parlamentswahl erstmals seit zehn Jahren die absolute Mehrheit verloren. Im Vorfeld war mit einem Erdrutschsieg des wegen seiner hindunationalistischen Politik umstrittenen Regierungschefs gerechnet worden. Das Regieren dürfte für Modi in dessen dritter Amtszeit deutlich schwieriger werden, sagten Beobachter einen Tag nach Bekanntgabe der Ergebnisse.
„Modi wird dazu gezwungen sein, auf andere zu hören. Wir werden mehr Demokratie und ein gesünderes Parlament sehen“, sagte der Autor Nilanajahn Mukhopadhyay, der eine Biografie des Premierministers veröffentlicht hat. „Er wird ein ganz anderer Anführer sein müssen, als er es bisher war.“
Am Samstag war in Indien nach sechs Wochen der größte demokratische Urnengang der Welt zu Ende gegangen, bei dem mehr als 968 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen waren. Modis BJP sicherte sich 240 Parlamentssitze, damit fehlen ihr 32 für eine absolute Mehrheit. Bei der Wahl 2019 war sie noch auf 303 Sitze gekommen.
Die wichtigste Oppositionspartei, die Kongresspartei, konnte ihr Ergebnis im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren fast verdoppeln und erhielt 99 Sitze.
Nach zehn Jahren im Amt ist Modi damit erstmals darauf angewiesen, sich für eine Mehrheit Verbündete zu suchen. Auch die Bürgerinnen und Bürger in seinem eigenen Wahlkreis, der für Hindus heiligen Stadt Varanasi, verpassten dem 73-Jährigen einen Dämpfer. Er holte dort 152.300 Stimmen, 2019 waren es noch fast 500.000. Trotzdem kündigte der Modi am Dienstagabend vor Anhängern „große Entscheidungen“ für seine kommende Amtszeit an. Das Land werde „ein neues Kapitel der Entwicklung schreiben“.
Modi muss nun mit einflussreicheren Koalitionspartnern und einer gestärkten Opposition umgehen, die seine Pläne durchkreuzen könnten, schrieben indische Medien. „Das könnte zu einer Dauersorge für die BJP werden“, schrieb die „Times of India“.
Die Gründe für das schlechtere Abschneiden der Partei sehen Experten vor allem in der Arbeitslosigkeit. Modis Amtszeit war von einem Wirtschaftswunder geprägt. Indien mauserte sich zur am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaft der Welt und ist derzeit die fünftwichtigste Wirtschaftsmacht überhaupt. Besonders in der IT-Industrie wurden viele qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen, was die Mittelklasse wachsen ließ.
Doch der Sektor, in dem im bevölkerungsreichsten Land der Welt mehr als fünf Millionen Menschen arbeiten, ist durch wirtschaftliche Krisen in westlichen Ländern geschwächt. Die Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze ist Branchenangaben zufolge deutlich gesunken. Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation zufolge waren 2022 29 Prozent der Hochschulabsolventen in Indien arbeitslos.
„Zweifellos hat Indien eine Jobkrise“, sagte der Wirtschaftsexperte Santosh Mehrotra. Das Land müsse zehn bis zwölf Millionen Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft schaffen. Aktuell würden diese Zahlen aber nicht erreicht.