Volkspartei sucht Freunde: Am Kap der letzten Hoffnung: Südafrika steht vor dem Wandel – oder dem Chaos

In Südafrika ist für die vielen „da unten“ der Frust über die wenigen „da oben“ traurige Tradition. Jetzt kassiert die Quasi-Staatspartei ANC für Jahrzehnte der Korruption die Quittung. Afrikas stärkste Volkswirtschaft steht am Scheideweg: endlich bergauf oder freier Fall?

Eigentlich soll der Begriff „historisch“ verdeutlichen, dass etwas Großes, etwas Einschneidendes geschehen ist. Tatsächlich wird das vermeintlich harmlose Wörtchen im Journalismus mangels sprachlicher Alternativen immer dann bemüht, wenn Ereignisse schon irgendwie bedeutsam, deren Ausmaße aber völlig ungreifbar sind. In diesem Sinne ist das Wahlergebnis in Südafrika historisch. 

Der Afrikanische Nationalkongress, kurz ANC, hat das erste Mal seit den ersten demokratischen Wahlen 1994 die absolute Mehrheit verloren. Nun ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion in 30 Jahren Dauerherrschaft ziemlich verkümmert. Die bis dato Quasi-Staatspartei steht nun vor einer ihr völlig fremden Aufgabe: Sie muss Kompromisse eingehen. Findet der ANC keine Koalitionspartner, droht im besten Fall vermutlich politischer Stillstand, im schlimmsten Fall reines Chaos. 30 Jahre freie Wahlen Südafrika 13.02

ANC-Wahldebakel in Südafrika

Die Wahlklatsche ist die späte Quittung für all die Jahre, in denen eine kleine Elite den Staatssäckel mit dem privaten Bankkonto verwechselte. Das Resultat: In keinem Land der Erde klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander. Laut Weltbank verfügen die obersten 0,01 Prozent der Bevölkerung, gerade einmal 3500 Menschen, über 15 Prozent des Gesamtvermögens. Die Wellblechmeere der Townships wachsen, rund ein Drittel der 60 Millionen Südafrikaner ist arbeitslos, unter den unter 30-Jährigen sind es sogar 60 Prozent. Die Bandenkriminalität nimmt schreckliche Ausmaße an, Südafrikas Mordrate hat die globale Top-10 geentert. Die Straßen sind marode, das einzig verlässliche am Stromnetz ist, dass es regelmäßig für Stunden ausfällt. Dass es irgendwann zu einem politischen Erdbeben kommen würde, war also abzusehen. Dass es so heftig ausfallen würde, damit hatten die wenigsten gerechnet.

„Unser Volk hat gesprochen“, sagte Präsident Cyril Ramaphosa, der ANC habe zugehört, versicherte Generalsekretär Fikile Mbalula, nachdem der ANC am Sonntag nur 40 Prozent der Stimmen erhielt – 17 Prozent weniger als bei der letzten Wahl. 71 Parlamentssitze muss die selbstverstandene Volkspartei nun abgeben. 

Viel Zeit, um die Schockstarre abzuschütteln, bleibt nicht: Laut Verfassung muss die neue Regierung mitsamt Präsident in maximal zwei Wochen stehen. Ein Bündnis mit Kleinstparteien ist nach der Blamage an den Wahlurnen rein rechnerisch nicht drin – der ANC ist auf mindestens einen seiner drei größten Rivalen angewiesen. Doch selbst wenn er Demut im Schnellverfahren erlernt und der lang belächelten Konkurrenz die Hand ausstreckt: Wer sollte zugreifen? Die zweitplatzierte Demokratischen Allianz (DA)? Unter der schwarzen Mehrheitsbevölkerung als Überbleibsel der weißen Unterdrücker verschrien. Parteineuling uMkhonto we Sizwe (MK), auf deutsch „Der Speer der Nation“? Im Grunde bloß ein Racheprojekt des geschassten Ex-Präsidenten Jacob Zuma. Die Marxisten der Economic Freedom Fighters (EFF)? Zu radikal für die Realität. 

Deal mit der Demokratischen Allianz?

Dass der ANC überhaupt so lange unangefochten war, hatte er auch der historischen Alternativlosigkeit zu verdanken. Vier von fünf Südafrikanern sind schwarz. Die unausgesprochene Regel: Wenn schon jemand das Land plündert, dann wenigstens kein Weißer. Ist nun die Zeit der Versöhnung gekommen? Aus rein praktikablen Gründen? STERN PAID Classic Zeit der Apartheid Südafrika 18.35

Gemeinsam kämen ANC und DA auf mehr als 60 Prozent. Immerhin können sich die beiden stärksten Kräfte in Sachen Wirtschaftspolitik zumindest riechen, was wiederum ausländische Investoren beruhigen würde. In der DA dürften sie sich für einen Schulterschluss erwärmen – und sei es nur, um die Linke auszuschließen. Aneinandergeraten würde man allerdings beim Thema Außenpolitik. Die DA fährt einen strikt pro-westlichen Kurs, wohingegen der ANC sich ziemlich beste Freunde in Ost und Fernost angelacht hat. Geraten die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten also zum Stimmungskiller? Vielleicht. Aber es muss ja nicht gleich Liebe sein. Die DA könnte im Tausch gegen Zugeständnisse den ANC auch bei einer Minderheitsregierung unterstützen. 

DA-Parteichef John Steenhuisen
© Chris McGrath

So oder so könnte sich die Zweckehe aus ANC-Sicht bei der nächsten Wahl rächen. Dessen Wählerbasis, die Millionen Schwarzen in den pilzartig wachsenden Townships, würden eine Verbrüderung mit der als weiße Elitenpartei angesehenen DA als Verrat werten – zumal Parteichef John Steenhuisen die Konservativen zuletzt zusehends nach rechts gerückt hat und bei der Bevorzugung von Schwarzen auf dem Arbeitsmarkt von „positiver Diskriminierung“ spricht.

Dennoch dürfte ein Pakt mit der DA die einzige Option für eine funktionierende Regierung mit Ramaphosa an der Spitze sein.  

Wenn nicht rechts, dann vielleicht lieber links? 

Ramaphosa-kritische ANCler dürften in die entgegengesetzte Richtung schielen. Die linksradikale EFF kommt immerhin auf gut 9,5 Prozent, auch wenn sie damit nicht zum alleinigen Juniorpartner taugen. Nun ist Julius Malema, der Mann mit dem roten Barett, ein Freund der klaren, nicht selten auch rassistischen Worte. Der 43 Jahre Parteichef ist selbst Sprössling des ANC, aber irgendwo scharf links abgebogen. 

Julius Malema, Chef der linksradikalen Economic Freedom Fighters
© Xabiso Mkhabela / Xinhua

Will der ANC die Unterstützung seiner EFF, dann hieße das: Enteignung weißer Farmer binnen sechs Monaten, Gründung einer Staatsbank, Streichung aller Studienschulden, kostenloses Wasser und Strom für Bedürftige und vor allem: einen Partner, der „keine Marionette oder Vertretung der imperialistischen Agenda des Westens ist“. 

Wenn weder rechte noch linke Adoption eine Option ist – wie wäre es stattdessen mit Versöhnung mit dem einstigen Familienoberhaupt? 

Jacob Zuma –Südafrikas Donald Trump auf Rachefeldzug

Es gibt ihn immer, den „Donald Trump von…“. In Südafrika ist das Jacob Zuma. Dass der 82-jährige es überhaupt noch einmal aufs politische Parkett gebracht hat, spricht Bände. Schließlich war es Zuma selbst, der das Land maßgeblich mit in den Ruin getrieben und sich dabei mutmaßlich Millionen in die eigenen Taschen gestopft hatte. In seiner Heimatprovinz KwaZulu-Natal verfehlte er die absolute Mehrheit nur knapp. Freilich witterte er trotz landesweit überraschend starker Ergebnisse noch während der Auszählung Wahlmanipulation. Für sich selbst konnte Zuma nicht stimmen – als verurteilter Straftäter war er von der Kandidatur ausgeschlossen.

Jacob Zuma, Ex-Präsident auf Rachefeldzug
© Shiraaz Mohamed / AP

Politisch ist seine MK so kompromisslos wie ihr Chef: Landnahme ohne Entschädigung, braune statt grüne Energie, sogar die geltende Verfassung will sie abschaffen. Seine 15 Prozent würde sich Zuma einiges kosten lassen – allen voran den Kopf seines früheren Stellvertreters Ramaphosa. Als Zuma die Führung der im Dezember 2023 frisch gegründeten MK übernahm, hieß es, sein einziges Ziel bestünde darin, dem ANC zu schaden – aus purer Rache. Er macht seine einstigen Parteifreunde für seine juristischen Probleme verantwortlich. Probleme, für deren Lösung ein Fuß in der Parlamentstür freilich nicht verkehrt wäre. 

Ein Deal mit Zuma würde allerdings nicht nur politische Erpressbarkeit beweisen, sondern auch eine Rückkehr zum Klüngeln bedeuten, wo doch ein Neuanfang überlebenswichtig wäre. STERN PAID 16_24 Südafrika Diamanten 0830

Hoffnung auf den Wandel

Alle Voraussetzungen für das Prädikat „historisch“ sind vorhanden. Südafrika ist nicht mehr dasselbe Land, das Nelson Mandela vor 30 Jahren auf Versöhnung eingeschworen hat – im Guten wie im Schlechten. Die Diktatur der Mehrheit, in Folge derer lediglich eine neue Elite das Land ausgeplündert hat, steht vor dem Aus.

Wer es gut meint, hofft auf einen demokratischen Wandel. In einer gesunden Demokratie ist Platz für mehr als eine Partei. Fraglich ist allerdings, ob die neue Regierung, die dieser Tage in Kapstadts Hinterzimmer ausbaldowert wird, den Kampf gegen die Korruption aufnehmen wird – oder aus Reflex selbst zum Fressen ruft.

Quellen:New York Times„, „Conversation„; „Modern Diplomacy„; „Economist„; „Unherd