Nach stern-Recherchen: Kritik an Lauterbach: Union fordert Krisengipfel zur Kindermedizin

Ärzte und Pflegekräfte in der Kindermedizin arbeiten am Limit, das zeigen Recherchen des stern. Die Union sieht die Schuld dafür auch bei Gesundheitsminister Lauterbach – und fordert, keine Zeit mehr zu verlieren.

Nach Berichten des stern über die Krise in Deutschlands Kinderkliniken fordert die Union im Bundestag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen Krisengipfel zur Kinder- und Jugendmedizin. Das Treffen solle der erste Schritt für eine neue Offensive in diesem Bereich sein, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Tino Sorge, dem stern. Lauterbach müsse die Hilferufe der Experten beherzigen und sie an einen Tisch holen: „Es gibt keine Zeit mehr zu verlieren.“

Notfall Kindermedizin

Der CDU-Bundestagsabgeordnete übte scharfe Kritik an Lauterbach. „Dass in Deutschland bei der Versorgung kranker Kinder triagiert werden muss, ist ein unerträglicher Zustand“, sagte er.  Schon in der Vergangenheit habe der Bundesgesundheitsminister „viel zu zaghaft auf akute Engpässe“ in der Kindermedizin reagiert. „Nun ist erneut ein Notstand erreicht, obwohl die Probleme seit Jahren bekannt sind“, sagte der CDU-Abgeordnete.

Kindermedizin: „Es droht eine monatelange Hängepartie“

Aus Sicht Sorges kommt erschwerend hinzu, dass die Krankenhausreform seit Monaten festgefahren sei. Das liege daran, dass Lauterbach das Vorhaben an Ländern und Kliniken vorbei konzipiert habe. „Dieser Alleingang des Ministers rächt sich nun“, sagte der Gesundheitsexperte. „Es droht eine monatelange Hängepartie, die wir uns gerade für die Kinderkliniken nicht erlauben dürfen.“

Station 67 Kindermedizin in der Krise Titel

In dieser Krankenhausreform sieht der Grünen-Politiker Janosch Dahmen „das notwendige Gegenmittel“ gegen ungünstige Entwicklungen in dem Bereich. „Die Situation vieler Kinderkliniken ist ausgesprochen schwierig“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion dem stern. Sie seien unterfinanziert, es fehle das Fachpersonal und gleichzeitig seien sie wiederkehrend chronisch überlastet. 

„Die Krankenhäuser für die Kleinsten sind so inzwischen selbst so zum Patienten geworden“, sagte Dahmen. Statt der unvorhersehbaren Versorgung kritisch kranker Kinder lohnten sich lukrative, planbare Eingriffe bei Erwachsenen für viele Klinikkonzerne deutlich mehr. Die Krankenhausreform könne dem Abhilfe schaffen. „Durch die Reform werden die Kliniken auch dafür Geld bekommen, dass sie Kapazitäten vorhalten“, so Dahmen. Das helfe insbesondere auch den Kinderkliniken. 

Das Kabinett hatte den Gesetzentwurf für die Krankenhausreform am 15. Mai beschlossen. Er muss nun noch Bundestag und Bundesrat passieren. Besonders in den Ländern gibt weiter noch massiven Widerstand. Dahmen warnte: Komme die Reform nicht, sei zu befürchten, „dass weitere Kinderkliniken Kapazitäten abbauen müssen oder sogar ganz geschlossen werden“. 

Neben der Krankenhausreform wolle man durch „die anstehende Notfallreform insbesondere auch die Notaufnahmen von Kinderkliniken entlasten“, sagte Dahmen, der vor seinem Eintritt in den Bundestag selbst als Notfallmediziner gearbeitet hat. Im Januar hatte Minister Lauterbach dazu Eckpunkte vorgestellt.

Kindermedizin in der Krise Florian Hoffmann Divi Interview 06:15

Kinderkrankenhäuser spürten außerdem besonders die Auswirkungen des immer stärker zunehmenden Fachkräftemangels, so Dahmen. Er höre „Befürchtungen aus den Kliniken, dass die Einführung der generalistischen Ausbildung in der Pflege dazu geführt haben könnte, dass sich weniger neu Ausgebildete für die Kinderkrankenpflege entscheiden.“ Das werde man sich im Rahmen einer Evaluation anschauen und dann auf die Auswirkungen reagieren.

Arzt: „Wir müssen entscheiden, welches Kind unsere Behandlung am nötigsten hat“

Der stern berichtet aktuell in einem großen Schwerpunkt zur Krise der Kindermedizin. Über Monate recherchierten Reporter unter anderem auf der größten deutschen Kinderintensivstation, der Station 67 der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Der dortige leitende Oberarzt, Michael Sasse, seit 30 Jahren Kinderintensivmediziner, spricht von einer „Katastrophe“. Er und sein Team seien ständig gezwungen zu triagieren. „Wir müssen entscheiden, welches Kind unsere Behandlung am nötigsten hat. Und die anderen können wir dann nicht versorgen. Wenn ich ein Bett habe für drei Patienten, dann muss ich aussuchen, wer in das Bett kommt.“

Der Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Jörg Dötsch, der auch Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln ist, fordert im stern dringend Maßnahmen, damit derzeit gesperrte Betten schnell wieder genutzt werden können. „Wir brauchen finanzielle Anreize, damit Pflegekräfte jetzt aus der Rente oder der Berufspause zurück in den Beruf kommen und Teilzeitkräfte ihre Stunden aufstocken. Genauso wäre es sinnvoll, flexible Jahresarbeitszeitkonten einzuführen, damit vor allem in den besonders belastenden Wintermonaten mehr gearbeitet werden kann.“