Der tödliche Angriff auf einen Polizisten hat eine Debatte darüber angestoßen, ob Abschiebungen auch in unsichere Länder wie Afghanistan möglich sein sollten. Warum sind sie es nicht?
Die tödliche Messerattacke auf einen Polizisten in Mannheim hat eine Diskussion darüber angestoßen, ob der Rechtstaat noch mehr Härte zeigen sollte – indem er auch Abschiebungen in unsichere Länder erlaubt. Mehrere Politiker fordern das, auch aus der SPD von Innenministerin Faeser, die das gerade intensiv prüfen lasse. Also: einfach machen? So einfach ist es nicht.
Am Freitag hatte ein 25-jähriger Afghane bei einer islamkritischen Kundgebung auf dem Mannheimer Marktplatz ein Messer gezogen und sechs Männer verletzt, darunter einen jungen Polizisten. Der 29-Jährige erlag später seinen Verletzungen. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen war der Tatverdächtige zuvor weder als Straftäter noch als Extremist aufgefallen. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen und vermutet „religiöse Gründe“ hinter dem Angriff.
Der Mann aus der afghanischen Region Herat soll schon 2013, damals noch als Teenager, nach Deutschland gekommen sein und einen Asylantrag gestellt haben, wie mehrere Medien berichteten. Der Antrag wurde 2014 abgelehnt. Zu einer Abschiebung ist es aber nicht gekommen, da ein Abschiebeverbot verhängt wurde – vermutlich wegen seines jugendlichen Alters. Seit 2023 soll der Tatverdächtige wegen seiner Frau und den hier geborenen Kindern zudem eine befristete Aufenthaltsgenehmigung nach Paragraf 28 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, also einen Flüchtlingsstatus.
Das alles würde eine Abschiebung des Tatverdächtigen erheblich erschweren, selbst bei einer Verurteilung. Zumal Rückführungen nach Afghanistan im August 2021 ausgesetzt wurden – als Reaktion auf die Machtübernahme der Taliban. Ein Rechtsstaat trage auch die Verantwortung dafür, dass Abschiebungen nicht zur „Gefahr für die Beteiligten“ werden, sagte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU.
Jugendleiter Polizei zu Mannheim 12:18
Durch Mannheim erhält die Diskussion um den Abschiebestopp nun neue Dringlichkeit. Schon im Dezember 2023 hatte die Innenministerkonferenz (IMK), ein Zusammenschluss der Innenminister und -Senatoren aller Länder, eine entsprechende Bitte an das Bundesinnenministerium (BMI) gerichtet: Laut Beschlusspapier solle das BMI prüfen, auf welchem Weg Abschiebungen sowie kontrollierte freiwillige Ausreisen schwerer Straftäter und Gefährder in ihre Herkunftsländer, einschließlich Afghanistan und Syrien, durchgeführt werden können.
Aus „gutem Grund“ keine Abschiebungen nach Afghanistan
Hamburgs Innensenator Andy Grote von der SPD erhöht nun den Druck, die Abschiebestopps aufzuweichen. Am Montag legte er eine Beschlussvorlage für die Innenministerkonferenz vor, die am 19. Juni wieder tagt. Schon der Titel des Antrags, über den mehrere Medien berichten, macht Grotes Erwartungshaltung deutlich: „Rückführungen von Personen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen – auch nach Afghanistan und Syrien“.
Der Initiative zufolge sollen schwerkriminelle Ausländer in ihre Heimat abgeschoben werden können, selbst wenn ihr Land als unsicheres Herkunftsland gilt. Dafür solle das Auswärtige Amt eine Neubewertung der Sicherheitslage für Afghanistan und Syrien vornehmen, damit bestehende internationale Flugverbindungen auch für Rückführungen genutzt werden können. Dirk Wiese, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, unterstützt den Vorschlag: „Nach dem nachvollziehbaren temporären Abschiebestopp sollte das Auswärtige Amt endlich den Weg dafür frei machen, künftig Abschiebungen nach Afghanistan wieder durchführen zu können“, sagte Wiese der „Süddeutschen Zeitung“.
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Allerdings ist derzeit nicht ersichtlich, dass Außenministerin Baerbock ihre Sicherheitseinschätzung ändern könnte. Aus „gutem Grund“ schiebe Deutschland nicht nach Afghanistan ab, sagte Baerbock vor einem Jahr. Mit der „Schreckensherrschaft“ der Taliban sei das Land „in die Steinzeit zurückgefallen“. Auch in Syrien herrsche weiter der „brutale Diktator Assad“.
Zumal Omid Nouripour, Co-Vorsitzender der Grünen, am Montag vor Abschiebungen nach Afghanistan warnte. „Ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan würde bedeuten, dass man dafür einen Preis zahlt“, sagte er in Berlin. Dies zeigten die Deals der letzten Jahre. Den Taliban Geld zu zahlen, „wäre eine Stärkung der islamistischen Szene und das ist keine Lösung“.
Sicherheit gehe vor Bleiberecht, betonte Innenministerin Faeser am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Berlin, die sich in erster Linie um die Sicherheitsvorkehrungen für die bevorstehende Fußball-EM drehen sollte. Der Termin stand schon seit Längerem fest. „Der Täter muss mit der maximalen Härte des Gesetzes bestraft werden“, bekräftigte Faeser. Der Rechtsstaat nehme die islamistische Gefahr sehr ernst, die Behörden hätten die Szene fest im Visier.
Darüber hinaus lasse die Innenministerin seit Monaten „intensiv“ prüfen, wie Abschiebungen schwerer Straftäter und Gefährder auch nach Afghanistan wieder erfolgen können. Eine Entscheidung solle möglichst schnell fallen, sagte Faeser, müsse allerdings „gerichtsfest“ sein. Denn die rechtlichen Hürden liegen hoch, wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags erst kürzlich in einem Sachstand (April 2024) festgestellt hat. Demnach sind Abschiebungen wegen der politischen Situationen in Afghanistan und Syrien, aber auch wegen der aktuellen Rechtslage, in aller Regel nicht möglich.