Die Razzia kurz nach dem Nikolaustag 2022 war ein Paukenschlag: „Reichsbürger“ sollen einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben. Noch immer gibt es Einsätze in dem Zusammenhang.
Der Putz blättert ab, die Jalousien sind heruntergelassen, vermummte und bewaffnete Polizisten stehen vor der alten Pforte, die einst womöglich in einen Weinkeller führte: Eine Razzia gegen mutmaßliche Unterstützer der mutmaßlichen Terrorgruppe um den „Reichsbürger“-Ideologen Heinrich XIII. Prinz Reuß hat die Gemeinde Althengstett im Nordschwarzwald aufgeschreckt.
In sozialen Netzwerken seien Fotos von der Aktion und Spekulationen über Schüsse, Tote und Verletzte verbreitet worden, sagt Bürgermeister Rüdiger Klahm (parteilos) am Nachmittag. Weil es an Informationen mangelte, habe man die Bevölkerung zunächst nicht beruhigen können. Zwischenzeitlich kursieren auch Berichte von geheimen Waffenlagern der „Reichsbürger“.
Zwei Menschen unter Verdacht: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
Am Ende des Tages bleibt der Vorwurf, ein Mann im Alter von 73 Jahren und eine 63 Jahre alte Frau aus Baden-Württemberg hätten der „Reichsbürger“-Gruppierung um Prinz Reuß zum Jahreswechsel 2021/2022 Räumlichkeiten in Sachsen für Rekrutierungsveranstaltungen zur Verfügung gestellt. Die Frau soll zudem einem der mutmaßlichen Rädelsführer, Rüdiger v. P., im Herbst 2021 ein Auto überlassen haben. Ihnen werde Unterstützung einer inländischen terroristischen Vereinigung zur Last gelegt, sagt eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.
Festnahmen gab es keine. Ein Großaufgebot der Polizei durchsuchte seit dem Morgen sieben Objekte und drei Grundstücke in Baden-Württemberg, Sachsen und Schleswig-Holstein, wie die Sprecherin der Karlsruher Behörde erklärt. Zuerst hatte der „Spiegel“ berichtet.
Nach dpa-Informationen wurden Wohnräume der beiden Beschuldigten in Althengstett und Bad Teinach-Zavelstein (beide Landkreis Calw) durchsucht sowie dortige Grundstücke. Bis die Maßnahmen abgeschlossen sind, könnte es noch einige Zeit dauern.
Eine Nachbarin in Althengstett berichtet, sie habe vom Bad aus Blaulicht auf der Straße gesehen. Ein Polizist habe ihr gewunken und gezeigt, dass sie vom Fenster weg soll. Kurz darauf habe es laut geknallt. Die Glastür des Hauses ist zerbrochen. Dass ihre Nachbarin etwas verbrochen haben soll, kann sie sich nicht vorstellen, beteuert die Frau. Ein Über-80-Jähriger erzählt, er habe alles vom Fernsehsessel aus gesehen. „Das ging ganz sachlich zu, sie haben die Straße abgesperrt, das hat hier kaum jemand mitbekommen.“
Bisher Dutzende Festnahmen und drei Prozesse
Die sogenannten Reichsbürger in Deutschland behaupten, dass das Deutsche Reich (1871-1945) weiter existiert. Die Bundesrepublik und ihre Gesetze erkennen sie nicht an.
Öffentlich bekanntgeworden war die Gruppe um Prinz Reuß infolge einer großangelegten Anti-Terror-Razzia kurz nach dem Nikolaustag 2022 in mehreren Bundesländern und im Ausland. Dutzende Menschen wurden seitdem in dem Zusammenhang festgenommen. Die Beschuldigten sollen vorgehabt haben, das politische System in Deutschland zu stürzen. Sie hätten bewusst Tote in Kauf genommen, meint die Anklage.
In Grundzügen sollen sie schon Strukturen für eine eigene Staatsordnung ausgearbeitet haben. Als Staatsoberhaupt hätte Prinz Reuß fungieren sollen. Auch Ressorts seien schon verteilt gewesen: So hätte die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann für Justiz zuständig sein sollen. Auch ein ehemaliger Offizier des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr gehört zu den Beschuldigten.
In drei Prozessen an den Oberlandesgerichten Frankfurt am Main, Stuttgart und ab dem 18. Juni auch in München sollen die Hauptbeschuldigten zur Verantwortung gezogen werden. In Frankfurt sagte ein Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) zu den persönlichen Verhältnissen von Reuß aus. Es ging um Details etwa zu Firmenbeteiligungen, Internetauftritte und Vereine von Reuß, die Zahl seiner Autos sowie seine Finanzen, Konten und Wohnorte. Die Verteidiger intervenierten immer wieder.
In Stuttgart ist vor allem der militärische Teil der mutmaßlichen Terrorgruppe angeklagt. Dieser sollte laut Anklage die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen. Dazu sei schon mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von 286 militärisch organisierten Verbänden, sogenannten Heimatschutzkompanien, begonnen worden. Die „Heimatschutzkompanie Nr. 221“ soll für den Bereich der Gebiete Freudenstadt und Tübingen zuständig gewesen sein. In der Region liegt auch der Landkreis Calw.
Spezialeinheiten und Kampfmittelexperten im Einsatz
An den Durchsuchungsmaßnahmen waren mehr als 700 Beamte des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei sowie der Landespolizeien von Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein beteiligt.
Hierzu zählen laut der Sprecherin der Bundesanwaltschaft auch Spezialeinheiten des Bundes sowie des Landes Baden-Württemberg. Die Maßnahmen in Baden-Württemberg werden durch Kräfte des Kampfmittelräumdienstes des Landes sowie in Sachsen durch Kräfte des Technischen Hilfswerks unterstützt. Auch schweres Gerät sei im Einsatz, hieß es.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden führte im Erzgebirgskreis zwei Razzien gegen die Reichsbürgerszene durch. Den Angaben zufolge fanden die Durchsuchungen in Seiffen und Pockau-Lengefeld statt. Hintergrund sei das Verfahren gegen Heinrich XIII. Prinz Reuß. Weitere Details waren zunächst nicht bekannt.