2021 erhungerte eine Gruppe Klimaaktivisten ein Gespräch mit Deutschlands Spitzenpolitikern. Fast einen Monat lang verweigerten sie die Nahrung. Jetzt halten Aktivisten wieder einen Hungerstreik ab. Ihre Lage ist lebensbedrohlich.
Seit fast zwei Monaten nimmt Wolfgang Metzeler-Kick keine feste Nahrung mehr zu sich. Der 49-Jährige ist im Hungerstreik. Bisher hat er sich noch mit Vitaminen und Säften am Leben gehalten. Mittlerweile ist er im „trockenen Hungerstreik“, heißt: Er verweigert nun auch Getränke. Seine gesundheitliche Lage hat sich innerhalb der letzten sieben Tage massiv verschlechtert und ist nach Angaben der Kampagne „Hungern bis ihr ehrlich seid“ mittlerweile lebensbedrohlich. Das Risiko für einen Herzstillstand oder eine Infektion steigt mit jedem Tag. Jederzeit kann der Aktivist kollabieren, ins Koma fallen – oder sterben.
Trotzdem will er weitermachen.
Fragt sich nur: Wie lange noch?
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Anruf bei Susanne Koch. Die Medizinerin und Dozentin an der Charité in Berlin ist eine von drei Pflegern und Ärzten, die alle paar Tage bei den Aktivisten vor Robert Habecks Klimaministerium vorbeischauen. Koch ist auch Mitglied bei der Gruppe Scientist Rebellion. Über deren Mailverteiler der Signal-Gruppe von Health 4 future wurde sie gefragt, ob sie den Hungerstreik betreuen wolle. Es ist nicht das erste Mal. 2021 sollte sie auf die erste Gruppe Klimaaktivisten schauen, die ein Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz erhungerte. Damals sagte Koch ab, „weil die Aktivisten sp jung waren“. Bei Metzeler-Kick und seinen Mitstreitern sei das anders. „Deren Entscheidung, in den Hungerstreik zu treten, kann ich besser akzeptieren“, sagt die Medizinerin.
Dass sie sich um die Aktivisten sorgt, kann sie aber nicht verhehlen. Egal ob es sich um den 61-jährigen Michael Winter, den 56-jährigen Richard Cluse, den 41-jährigen Titus Feldmann oder den 34 Jahre alten Adrian Lack handelt – Koch hat sie alle ins Herz geschlossen. Dass Winter in die Klinik eingeliefert werden musste und sich Metzeler-Kick seinem Lebensende entgegenhungert, ist für sie schwer auszuhalten.
Gesundheitsrisiken beim Hungersteik
Den Starrsinn der Aktivisten kann das dreiköpfige medizinische Support-Team aber nicht brechen. Betreuen und begleiten, Blutdruck und -zucker kontrollieren, die Herzfrequenz messen, mehr können sie nicht tun.
Seit Wochen sehen Koch und ihre beiden Kollegen dabei zu, wie der Streik an den Körpern der Aktivisten zehrt. Erst wurden die Zuckerreserven in der Leber aufgebraucht. Das dauert in der Regel ein bis zwei Tage, sagt Koch. Danach geht es an die Fettreserven. „Je mehr Depots vorhanden sind, desto länger lässt sich der Hungerstreik durchhalten.“ Bei Metzeler-Kick seien die Fettreserven innerhalb von vier bis sechs Wochen aufgebraucht gewesen. Jetzt verliert er nur noch seine Muskelmasse. Mediziner sprechen auch von Muskelathropie. Das kann gefährlich werden: „Besonders kritisch wird es, wenn der Herzmuskel angegriffen wird“, sagt Koch. Das Risiko für Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzversagen steigt mit jedem Tag.
Um bleibende Schäden zu verhindern, nehmen die Hungerstreikenden täglich wenige Gramm Kohlenhydrate, Vitamine und Elektrolyte in Form von Brausetabletten und Säften zu sich. „Wir haben von Anfang an kommuniziert, dass das wichtig ist und daran haben sich die Aktivisten auch gehalten“, sagt Koch. Doch nun rebelliert der Erste. Wolfang Metzeler-Kicke verkündete vor gut einer Woche auf einer Pressekonferenz, dass er in den „trockenen Hungerstreik“ eintreten werde. Er verweigert nun die Kohlenhydrate. Dabei waren die 25 Gramm pro Tag, die er bisher zu sich nahm, schon zu wenig. Die WHO empfiehlt Menschen ab zehn Jahren eine Tageszufuhr von ungefähr 400 Gramm in Form von Gemüse, Obst und Vollkornprodukten. Nur so erhält der Körper die nötige Energie, die er unter anderem für den Stoffwechsel braucht. Frauen benötigen etwas weniger als Männer.Portrait Hungerstreik Robert Cluse 9:17
Auch Vitamin B1 steht auf dem „Speiseplan“ der Aktivisten. Es ist für das Nervensystem unentbehrlich. Ein Mangel kann Müdigkeit, Übelkeit und Kopfschmerzen auslösen. Im schlimmsten Fall sind auch Nervenschmerzen, Muskel- und Herzschwäche sowie Schwellungen am Körper möglich. Diese Symptome sind charakteristisch für die Krankheit Beri-Beri, die eigentlich nur noch in Entwicklungsländern verbreitet ist.
Behandlung wider Willen?
Dass die Aktivisten dem Tod entgegenhungern, wissen sie selbst. „Wenn die Situation gesundheitlich zu krass wird, sprechen wir das natürlich auch an“, sagt Koch. Eingreifen, möchte sie aber nicht – auch im Ernstfall nicht.
Ohnehin darf ein Mensch nicht gegen seinen Willen medizinisch behandelt werden, weiß Jan Moeck, Fachanwalt für Medizinrecht. Das gelte sowohl für Zwangsbehandlung und -ernährung sowie für die Einlieferung ins Krankenhaus. Alles andere widerspräche der ärztlichen Ethik und ist in Deutschland rechtswidrig. „Es gilt das Prinzip des ‚Informed Consent‘. Patient*innen entscheiden nach der Aufklärung über eine Behandlung selbst, welche ärztlichen Maßnahmen durchgeführt werden und welche nicht“, erklärt Moeck.
Sei ein Hungerstreikender bewusstlos, sind Ärzte verpflichtet, nach dem zuvor geäußerten Willen des Menschen zu handeln. Für Koch und ihre Kollegen sei es deshalb sinnvoll, sich über den Willen der Aktivisten zu informieren. Bestenfalls wurde dieser schriftlich festgehalten. „Ist der Wille nicht bekannt oder kann die Patientin oder der Patient seinen Willen nicht mehr zuverlässig äußern, kommt es auf den mutmaßlichen Willen an“, sagt Moek.
Bisher hätten die Aktivisten den Rat des medizinischen Support-Teams, den Streik zu beenden, abgelehnt, sagt Koch. „Das bedeutet dann aber auch, dass wir den Hungerstreik begleiten, ohne wütend, enttäuscht oder ängstlich zu werden. Das muss man dann eben aushalten“, sagt die Medizinerin. Die zwei Personen, die in Kliniken behandelt wurden, seien zuvor zusammengebrochen und hätten sich anschließend selbst entschieden, sich einliefern zu lassen.Es droht die Abschiebung: Französischer Bäcker geht für seinen Lehrling in den Hungerstreik 16.55
„Überwiegend dürften Hungerstreikende nicht den eigenen Tod in Kauf nehmen wollen. Sollte dies allerdings einmal der Fall sein, müssen Ärzt*innen die Behandlungsverantwortung nicht (mehr) übernehmen, zumal es nach der Berufsordnung der Ärztekammern gerade nicht die Aufgabe von Ärzt*innen ist, bei der Selbsttötung einer Patientin oder eines Patienten mitzuwirken“, sagt Medizinrechtler Moeck.
„Wünsche mir ein gutes Ende“
Susanne Koch möchte die Hungerstreikenden im Invalidenpark bis zum Schluss begleiten – was auch immer das bedeutet. Sollten sich die Aktivisten dazu entschließen, den Streik zu beenden, müssen sie auf jeden Fall langsam wieder ans Essen gewöhnt werden. Alles andere wäre lebensgefährlich, weil sonst beispielsweise der Elektrolythaushalt aus dem Gleichgewicht gerät.
Wie lange die Aktivisten ihren Hungerstreik noch aushalten, kann die Medizinerin nicht genau sagen. Das hängt einerseits von der gesundheitlichen Verfassung, aber auch von ihrer „Ernährung“ ab. Wenn die Aktivisten nichts mehr trinken, könnten sie innerhalb von zwei bis drei Tagen sterben. Mit Wasser wären es ungefähr 40 bis 50 Tage. Und mit Elektrolyten, Vitaminen und Säften noch länger, schätzt Koch.
Wie auch immer die Geschichte im Invalidenpark weitergeht, Koch wünscht sich „nichts sehnlicher, als das es für alle Beteiligten ein gutes Ende gibt“.