Europawahl 2024: Warum Nichtwähler extremen Parteien helfen – und sich selbst schaden könnten

Die Europawahl steht vor der Tür. Viele dürfte das kaum interessieren. Mache verzichten sogar auf den Gang ins Wahllokal. Der Einfluss auf das Wahlergebnis ist aber größer, als die Nichtwähler denken mögen.

Haben Sie sich schon entschieden, wen Sie am Sonntag wählen wollen? Oder wollen Sie gar nicht zur Wahl gehen? Natürlich ist die Entscheidung Ihre. Aber auch wenn Sie nicht zur Wahl gehen, diese Entscheidung hat mehr Einfluss auf das Endergebnis der Europawahl als Sie vielleicht denken. Denn die Nichtwählerinnen und Nichtwähler sind eine große Gruppe. Und ihre fehlenden Stimmzettel in der Wahlurne können am Ende extreme Parteien stärken – und die Demokratie schwächen.

Tatsächlich ist die Zahl der Nichtwähler bei der Europawahl hoch: 2019 verzichteten rund 50 Prozent der EU-Bürger auf ihre Stimme. Bei der Europawahl 2014 gingen sogar nur rund 42 Prozent wählen.

Doch wer sind diese Nichtwähler eigentlich? Laut Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) bilden sie regelmäßig die größte Gruppe bei Wahlen. Die soziale Lage der Stimmberechtigten beeinflusst die Wahlentscheidung. Je ärmer ein Stadtteil oder Wahlkreis sei, desto niedriger die Beteiligung, so die FES.STERN PAID 23_24 Aust AfD 09.10

Wer nicht wählt, hilft den großen Parteien

„Hinter der Entscheidung, nicht wählen zu gehen steckt in vielen Fällen ein Gefühl von Machtlosigkeit und einer Distanz zu denen, die politische Entscheidungen treffen“, so die FES weiter. Wenn die Menschen aber glaubten, mit ihrer Stimme keinen nennenswerten Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen zu können, sei dies neben der Entscheidung, nicht wählen zu gehen, für viele eine Motivation, Parteien am Rand des politischen Spektrums zu wählen. Dies schlage sich auch in den Wahlergebnissen nieder: Neben der SPD schneiden Linkspartei und AfD dort am besten ab, wo die Wahlbeteiligung niedrig ist.  

Das ist ein Problem für die Demokratie selbst. Denn sie braucht ein Mindestmaß an Bürgerbeteiligung, um zu funktionieren. Sonst gerät sie in Legitimationsnöte, heißt es auf der Seite des Bundestags. Und die nicht abgegebene Stimme habe dennoch großen Einfluss – so können Parteien profitieren, die man vielleicht auch als Nichtwähler ungern an der Macht sehen möchte. „Die Höhe der Wahlbeteiligung hat Auswirkungen auf das Wahlergebnis: Nichtwähler unterstützen letztlich immer den Wahlgewinner, ob sie das nun wollen oder nicht“, lautet die Erklärung.

Aber wie? Von der Nichtwahl profitieren rechnerisch gesehen alle Parteien, die man normalerweise nicht gewählt hätte, und zwar proportional zu ihrem Stimmenanteil, erklären Expertender Seite wahlrecht.de und haben dazu ein Beispiel: „Wenn beispielsweise ein SPD-Wähler einmal nicht wählt, dann dürfte davon am meisten die CDU profitieren, und umgekehrt.“ Am meisten schadet man aber der Partei, die man gewählt hätte, wenn man zur Wahl gegangen wäre. Wenn also eine Wählerin, die sonst immer SPD wählt, nicht zur Wahl geht, schadet das logischerweise der SPD.  

Ein Rechenbeispiel: Gehen 100 Menschen zur Wahl und 20 davon wählen Partei A, dann bekommt diese 20 Prozent. Gehen aber nur noch 80 der 100 Menschen zur Wahl, aber immer noch alle 20 wählen Partei A, dann erhält die Partei ganze 25 Prozent der Stimmen.Europawahl Kandidaten Karussell iFrame

Nichtwähler beeinflussen auch Ergebnisse von extremen Parteien

Bleiben Bürger der Wahlurne fern, profitieren davon kleine und extreme Parteien.Diese erhielten durch Nichtwähler einen „Zusatzeffekt“, so die Seite wahlrecht.de. Durch Wahlenthaltung oder ungültige Stimmabgabe werde die Fünf-Prozent-Hürde etwas abgesenkt, so dass sie leichter zu überwinden sei. Ein Effekt, der aber vergleichsweise gering sei.

Rechnen wir noch einmal mit unserem Beispiel von oben. Wenn von 100 Personen nur vier Partei B wählen, liegt sie unter der Prozenthürde und käme nicht ins Parlament. Würden wieder 80 Leute wählen, aber immer noch vier Partei B, käme sie auf fünf Prozent – und wäre im Parlament. Bei der jetzigen Europawahl gibt es aber keine Prozenthürde. Theoretisch würde es also keinen Unterschied machen.

Der politische Verein Campact sieht im Nichtwählen dennoch eine große Gefahr, weil dadurch rechtsextreme Parteien begünstigt würden. Diese seien sehr gut darin, Wähler zu mobilisieren. Je mehr Stimmen also auf solche Parteien fallen und je niedriger gleichzeitig die Wahlbeteiligung ist, desto mehr Prozente erhalten sie am Ende – und damit auch mehr Sitze. Auch die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg argumentiert, dass Nichtwähler den politischen Einfluss extremistischer Strömungen erleichterten. Eine hohe Wahlbeteiligung könne ein „böses Erwachen“ verhindern.

Europawahl 2024: Ist ungültig stimmen besser?

Nichtwählen hat aber auch Auswirkungen auf die eigene Situation. Denn die Wahlbeteiligung spiegelt die Bevölkerung nicht repräsentativ wider, wenn sozial benachteiligte Menschen nicht wählen gehen, wohlhabendere hingegen schon. Je geringer die Wahlbeteiligung, desto seltener gehen arme und bildungsferne Menschen sowie Personen mit Migrationshintergrund zur Wahl. Sie sind dann im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil unterrepräsentiert. Das zeige sich dann auch in der politischen Praxis, erklärte Politikwissenschaftler Robert Vehrkamp dem Deutschlandfunk. So habe sich die Wohnungspolitik in den vergangenen Jahrzehnten tendenziell weniger an den Interessen der Mieter als an denen der Eigentümer orientiert.

Wer nicht zur Wahl geht, gibt trotzdem seine Stimme ab, wenn auch unbewusst und ungewollt. Wer also nicht wählt und sich dann über das Wahlergebnis beschwert, sollte dies überdenken. Denn auch der Nichtwähler trägt zum Wahlergebnis bei – und damit zu der Politik, die unser Leben in den nächsten Jahren bestimmen wird.Meinung_Ich blicke bei der Europawahl nicht durch 17:13

Wenn man trotzdem keiner Partei seine Stimme geben will – ist es besser, den Wahlzettel ungültig zu machen?

Eine Wahlenthaltung gibt es in Deutschland nicht. Seine Stimme ungültig zu machen, ist aber auch nicht besser, als gar nicht zur Wahl zu gehen. Denn nur die gültigen Stimmen werden gezählt. Nur mit ihnen werden die Prozentzahlen der Parteien berechnet. Ungültig wählen erhöht zwar die Wahlbeteiligung, denn die ungültigen Stimmen werden in der Wahlstatistik gesondert ausgewiesen. Da sie aber bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt werden, tragen sie auch dazu bei, dass die Parteien weniger absolute Stimmen benötigen, um höhere Prozentzahlen zu erreichen.  

Falls Sie sich umentscheiden: Ihre Wahlunterlagen sollten Sie bereits erhalten haben. Auch die Briefwahl ist noch möglich: Bis spätestens Freitag vor dem Wahltag, 18 Uhr, kann ein Wahlschein beantragt werden. In besonderen Ausnahmefällen kann der Antrag auch noch am Wahltag bis 15 Uhr gestellt werden, zum Beispiel bei nachgewiesener plötzlicher Erkrankung. Sie brauchen noch Hilfe bei der Entscheidung, wen Sie wählen sollen? Der Wahl-O-Mat hilft weiter.

Quellen: Bundestag, Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg, Bundeswahlleiterin, Europäisches Parlament, Friedrich-Ebert-Stiftung, wahlrecht.de, Campact, Deutschlandfunk, „t-online“, „Stuttgarter Zeitung“