Zum ersten Mal wird Mexiko eine Präsidentin bekommen – das steht so gut wie fest. Eine linke Physikerin und eine Tech-Unternehmerin mit indigenen Wurzeln machen das Rennen unter sich aus.
Wer in Mexiko politische Stärke zeigen will, muss den Zócalo-Platz im Zentrum der Hauptstadt mit Zehntausenden Anhängern füllen. Mächtig erheben sich dort der Nationalpalast und die Kathedrale neben den Ruinen des Azteken-Haupttempels.
Die obligatorische Kraftprobe vor der imposanten Kulisse haben die beiden Präsidentschaftskandidatinnen vor der Wahl am kommenden Sonntag gemeistert. Nun stehen die Regierungskandidatin Claudia Sheinbaum und die Oppositionelle Xóchitl Gálvez vor einem historischen Schlagabtausch: Eine von ihnen soll die erste Präsidentin des lateinamerikanischen Landes werden.
Mega-Wahl: 20.000 Ämter werden neu besetzt
„Die einzige Zukunftsoption liegt bei uns“, sagte die Favoritin Sheinbaum, Ex-Regierungschefin von Mexiko-Stadt, bei ihrer Abschlussveranstaltung auf dem Zócalo. „Am 2. Juni werden wir Geschichte schreiben“. Mit ihrem Wahlsieg werde zum ersten Mal in der 200-jährigen Geschichte des unabhängigen Mexiko eine Frau das Präsidentenamt erlangen.
Die 61-jährige Physikerin tritt für das Regierungsbündnis um die Linkspartei Morena an. Sie plant den Kurs des nationalpopulistischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador fortzusetzen. Trotz der ungebremsten Gewalt der Drogenkartelle genießt der Staatschef hohe Zustimmungswerte. Nach sechs Jahren Amtszeit darf er aber nicht wieder antreten. López Obrador polarisiert Mexiko seit Jahrzehnten.
Nach Ansicht der Oppositionskandidatin Gálvez steht bei den Wahlen im südlichen Nachbarland der USA viel auf dem Spiel: „Es ist eine Entscheidung zwischen Demokratie und Autoritarismus“. Die Ex-Senatorin und Tech-Unternehmerin mit indigenen Wurzeln ist die Kandidatin eines Zweckbündnisses aus den drei größten Oppositionsparteien. Der dritte Anwärter auf das höchste Staatsamt, der 38 Jahre alte Jorge Álvarez von einer kleineren Partei, hat laut Umfragen keine Chancen.
In der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas stimmen fast 100 Millionen Wahlberechtigte über das Präsidentenamt, beide Kammern des Kongresses sowie zahlreiche regionale und lokale Posten ab. Bei der Mega-Wahl werden 20.000 Ämter neu besetzt, darunter Gouverneursposten in acht Bundesstaaten und im Hauptstadtdistrikt. Die Drogenkartelle, die ihren Einfluss sichern wollen, mischten auch mit: Dutzende Lokalkandidaten wurden ermordet, einer sogar beim Abschluss-Event seiner Kampagne.
Zwischen Loyalität und eigener Handschrift
In der prallen Sonne wartete die 84 Jahre alte Columba Cazares mit weißem Hut und einer Fahne der Morena-Partei auf den Beginn einer Kundgebung von Sheinbaum. Sie sei ein großer Fan der Kandidatin des Regierungslagers und natürlich auch des Präsidenten, sagt Cazares. „López Obrador hat mir sehr geholfen, und Sheinbaum ist am besten qualifiziert“. Sie sei seriös und kümmere sie sich um die alten Menschen.
Die Sozialpolitik des scheidenden Präsidenten mit Bargeldtransfers beispielsweise an Rentner ist sehr beliebt. Sheinbaum soll nun in dem bevölkerungsreichsten spanischsprachigen Land für Kontinuität sorgen. Die Enkelin jüdischer Einwanderer im überwiegend katholischen Mexiko zeigte sich im Wahlkampf ganz auf der Linie ihres politischen Ziehvaters – ein schwieriger Balanceakt zwischen Loyalität und eigener Handschrift.
Unternehmerin in traditionellem Huipil-Kleid
Ihre Rivalin Gálvez stammt aus einfachen Verhältnissen. Sie studierte Computertechnik mit einem Stipendium und gründete zwei Technologie-Unternehmen. Die Ex-Senatorin und frühere Bürgermeisterin eines Hauptstadtbezirks, die gerne im traditionellen Huipil-Kleid auftritt, ist parteilos, steht aber der bürgerlichen PAN nahe. Mit einer Million Unterstützungsunterschriften von Bürgern zwang sie den diskreditierten Parteien PAN, PRD und der PRI, die über 70 Jahre lang ununterbrochen regierte, ihre Kandidatur auf. Sie wirft Sheinbaum vor, sich staatlicher Ressourcen im Wahlkampf bedient zu haben.
Gálvez kritisiert die verfehlte Sicherheitspolitik, die Dämonisierung Andersdenkender und die Erosion demokratischer Gegengewichte unter López Obrador. Die Regierungspartei will ihre Mehrheit im Kongress weiter ausbauen, um allein Verfassungsreformen wie die Direktwahl von Richtern durchzusetzen. „Es wurde ein polarisierendes und falsches Narrativ aufgestellt. Danach sind alle, die ihre Ideologie nicht akzeptieren, Vaterlandsverräter“, sagte Gálvez. Ob Sheinbaum oder Gálvez, eines steht vor den Wahlen fest: Die gläserne Decke in der mexikanischen Politik wird durchbrochen.