Das BSW hat in Thüringen seine Liste für die Landtagswahl gewählt. Das Land der politischen Experimente bietet der Partei beste Chancen für eine Regierungsbeteiligung. Und Wagenknecht will sie nutzen.
Die Vorsitzende der Partei, die ihren Namen trägt, ist spät gekommen und wird früh gehen. Aber für die kurze Zeit, die Sahra Wagenknecht an diesem Samstag in Erfurt gastiert, richten sich alle Blicke und Kameras auf sie, wie sie routiniert ihre Sätze in populistischer Präzision formuliert.
„Es macht mir richtig Angst, welche Debatten wir führen“, ruft sie. „Wer den Krieg nach Russland trägt mit deutschen Waffen, der trägt den Krieg nach Deutschland!“ Dann hebt sie ihre Stimme zusätzlich. „In diesem Krieg wird doch seit Langem nicht mehr gesiegt! Es wird nur noch gestorben!“
Nun geht es hier, in einem Tagungssaal neben dem Erfurter Fußballstadion, nicht um die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, der Ukraine den Einsatz deutscher Waffen auf russischem Boden zu erlauben. Es geht um die Kandidaten des BSW, des Bündnis Sahra Wagenknecht, für die Wahl des außenpolitisch eher unzuständigen Landtags.
Doch diese Unterscheidung ist für die Partei rein akademisch. Selbstverständlich, sagt Wagenknecht später auf Nachfrage, werde ebenso wie in der Kampagne für das Europaparlament auch im Landtagswahlkampf die Frage von Krieg und Frieden im Zentrum stehen. Das Thema bewege nun mal viele Menschen.
In Thüringen sind die Umfragewerte am höchsten
Und es treibt die Umfragewerte ihrer Partei nach oben – insbesondere in Ostdeutschland, wo im September nicht nur in Thüringen, sondern auch in Sachsen und Brandenburg die Landesparlamente gewählt werden. Während das BSW vor der Europawahl am 9. Juni bundesweit zwischen 5 und 7 Prozent schwankt, kommt sie in Landtagswahlumfragen in Sachsen auf 11 Prozent, in Brandenburg auf 13 Prozent – und in Thüringen auf 16 Prozent.
Ausgerechnet das Land, in dem mit Bodo Ramelow der einzige Linke-Ministerpräsident regiert, hat die frühere Linke-Bundestagsfraktionschefin Wagenknecht die größten Chancen auf eine Regierungsbeteiligung ihrer neuen Partei. Dies liegt an den prekären politischen Verhältnissen, in der die zerrüttete rot-rot-grüne Minderheitskoalition einem besonders extremen AfD-Verband unter Björn Höcke gegenübersteht, während die CDU taktisch mäandert. Aber es liegt auch daran, dass sich die das hiesige BSW rasch gründete und mit der Eisenacher Noch-Oberbürgermeisterin Katja Wolf eine pragmatische Ex-Linke-Politikerin an ihrer Spitze hat.
Die Thüringer BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf in Erfurt. Sie amtiert noch bis Ende Juni als Oberbürgermeisterin von Eisenach.
© Michael Reichel
Nebenbei, und das ist mehr als Folklore, handelt es sich um das Geburtsland Wagenknechts, die ihre frühe Kindheit in Jena verbrachte. „Als Thüringerin fühle ich mich Thüringen verbunden“, ruft sie in Erfurt, um dann die heile Heimatwelt ihres BSW zu beschwören. Ihre Lieblingsworte lauten „großartig“, „toll“ und „wunderbar“.
Okay, da ist diese eine Sache, die für Unruhe in der Partei sorgt: die Praxis der Mitgliederaufnahme. In Thüringen hat das BSW nur 47 Mitglieder, obwohl es, wie es in der Partei heißt, etwa 1000 Interessenten gibt.
Der offiziell angegebene Grund für die zögerliche Aufnahme ist, dass Querulanten und Extremisten rausgehalten werden sollen. Inoffiziell geht es jedoch offenkundig darum, die Konkurrenz um Mandate und mögliche Regierungsposten klein zu halten.
Und so wählten kürzlich im doppelt so großen Sachsen 64 Mitglieder eine 30-köpfige Liste für die Landtagswahl. Dazu will man in 44 Wahlkreisen mit Direktkandidaten antreten. In Brandenburg, wo die Kandidatenfindung erst begonnen hat, nahm das BSW bislang sogar nur 36 Menschen auf.
Es war der Linke Ramelow, der sich zuletzt darüber laut echauffierte. „Hier öffnet sich eine Organisation, die das Parteien-Privileg in Anspruch nimmt, gezielt nicht für ihre Anhänger“, sagte er dem stern. „Ist das eine Oligarchie oder gar ein Kalifat?“
Auf die Vorwürfe ihres früheren Parteigenossen angesprochen, versucht es Wagenknecht erst einmal mit Ironie. Bisher habe „Herr Ramelow“ ja keinen Mitgliedsantrag gestellt, sagt sie, „sodass eigentlich die Frage für ihn noch nicht so relevant sein dürfte“. Aber natürlich, klar, es gebe „auch Unmut“, dass die Partei derart langsam wachse. Gleichwohl werbe sie für Verständnis: „Wenn man mit 500 anfängt und dann die Tore aufmacht und ganz schnell 5000 aufnimmt, dann hat man keine Kontrolle mehr, ob das wirklich noch die Partei ist, als die wir angetreten sind.“
Genau das ist es: Diesmal will Wagenknecht die Kontrolle behalten – im Unterschied zu ihrer 2018 initiierten Bewegung „Aufstehen“, die rasend schnell wuchs und dann ebenso schnell wieder implodierte. Diesmal möchte sie, wie sie sagt, den Wählern „die Garantie“ geben, „dass sie das wählen, wofür ich auch stehe“.
Die Züchtung einer Partei unter Laborbedingungen
Und so wird die Partei streng nach den Vorgaben ihrer Vorsitzenden wie unter Laborbedingungen gezüchtet. In Erfurt sieht das so aus: In der Mitte des Tagungssaals, in den locker 500 Menschen passen, sitzt ein Häuflein aus etwa 40 Parteimitgliedern vor einer großen Bühne und hebt nahezu im Minutentakt die Stimmkarten, um Tagungspräsidium und Kommissionen zu wählen. Den eigentlich geplanten Livestream gibt es sicherheitshalber nicht.
Auch das Wahlprogramm ist nach einer knappen halben Stunde ausreichend selbstbelobigt und nur mit einer Enthaltung beschlossen. Es verspricht, unter anderem, kostenloses Mittagessen für Schulkinder, eine Ost-Quote bei Einstellungen in der Verwaltung, eine Landtagskommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie und ein Bürgerveto bei neuen Verordnungen.
Dann wird die Liste entsprechend des Vorschlags des Landesvorstands gewählt, Kampfkandidaturen gibt es erst ab Platz 15. An der Spitze steht die Noch-Oberbürgermeisterin Wolf, gefolgt von ihrem Co-Landeschef Steffen Schütz. Auf Platz 3 kommt Steffen Quasebarth, der bis vor einer Woche die Nachrichtensendung des Thüringer MDR-Fernsehens moderierte – für 180.000 Zuschauer im Durchschnitt, wie er stolz mitteilt. Diese Quote war wohl auch das entscheidende Einstellungskriterium. „Ich weiß, dass Steffen hier in Thüringen ein wirklich berühmter Mann ist“, sagt Wagenknecht.
Gute Chancen auf einen Sitz im Landtag haben zudem eine ehemalige Linke-Bundestagsabgeordnete aus dem Eichsfeld, ein Ex-Linke-Bürgermeister und ein früherer Grünen-Landesvorsitzender, der sich kürzlich noch bei seiner alten Partei vergeblich um ein Parlamentsmandat bemüht hatte. Ansonsten steht am Ende nur ein einziges Nicht-Mitglied auf den halbwegs aussichtsreichen Plätzen.
Bei der Regierungsbildung maximal flexibel
Damit hat der Landtagswahlkampf im Wagenknecht-Land begonnen. Die Bundesvorsitzende fasst die Strategie so zusammen: „Es gibt jetzt mit dem BSW eine Partei, mit deren Wahl man endlich gegen diese ganz unsägliche, falsch laufende Politik in Berlin aber auch woanders protestieren kann – und man kommt nicht in die Verlegenheit, Parteien wählen zu müssen, in denen es von Rechtsextremisten und Nazis wimmelt.“
Gegen Ampel und AfD: So positioniert sich auch Spitzenkandidatin Wolf, wobei sie die Linie sehr viel eindeutiger gegenüber Höcke zieht. Thüringen, sagt sie, brauche eine Alternative zu einer Alternative, die „mit ihrem menschenverachtenden Weltbild und ideologischen Verbrämtheit Thüringen in das finsterste Kapitel deutscher Geschichte zurückführen“ wolle.
Was eine künftige Regierungsbildung betrifft, gibt sich das BSW maximal flexibel. Bis auf die AfD werde man „natürlich mit allen demokratischen Parteien Gespräche führen“, sagt Wagenknecht – und dies, wer weiß, sogar aus der Position des Stärkeren heraus. Ihre Partei liege in Thüringen ja gerade in Umfragen gleichauf mit der Linken und nur vier Prozentpunkte hinter der CDU. „Und das kann sich auch noch ändern.“