Was ist da los im Europaparlament? Vorwürfe von sexueller Belästigung und Machtmissbrauch werfen einen Schatten auf die bevorstehende Europawahl.
Im Europaparlament häufen sich nach Recherchen von stern und Correctiv Vorwürfe von Machtmissbrauch und sexueller Belästigung. Allein in den vergangenen Wochen haben sich mehr als 20 Mitarbeiterinnen, Assistentinnen und Praktikanten aus mehreren Fraktionen beim neugegründeten Harassment Support Network gemeldet. Elf weitere Fälle sexueller Belästigung allein aus der aktuellen Legislaturperiode sind stern und Correctiv bekannt. „Wenn Parlamentarier andere Parlamentarier kritisieren, ist die Gefahr groß, dass ein Auge zugedrückt wird“, kritisiert Katarina Barley, die sozialdemokratische Spitzenkandidatin und Vizepräsidentin des Parlaments.
Ein mittlerweile bekanntes Beispiel ist der Fall Malte Gallées. Der Grünen-Abgeordnete aus Bayern trat Anfang des Jahres zurück, als der stern recherchierte, dass mehrere Mitarbeiterinnen seiner Fraktion ihm sexuelle Belästigung und Mobbing vorgeworfen hatten. Ferner gilt es in Brüssel als gut gehütetes Geheimnis, dass einem hochrangigen weiteren Beamten mehrfache sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde, die seinen Aufstieg in die höchsten Sphären der Brüsseler Macht verhinderten. Der stern und Correctiv berichten zudem über Vorwürfe gegen einen Assistenten, der nach einer Party versucht haben soll, eine Praktikantin sexuell zu bedrängen. Dem stern und Correctiv sind die Namen der Beschuldigten bekannt, aus Quellenschutzgründen können sie nicht genannt werden.
Sexuelle Belästigung im EU-Parlament
Die Recherchen ergeben das Bild eines Parlaments, in dem zum Teil eine Kultur des Machtmissbrauchs und der sexuellen Belästigung herrscht. Vor allem Frauen erzählen von unangenehmen Begegnungen in Fahrstühlen. Von älteren Parlamentariern auf der Pirsch nach „Frischfleisch“. Und von Abgeordneten, die glauben, sich so gut wie alles erlauben zu können. Es gärt deshalb in den Fraktionen, vor allem manche Frauen fühlen sich im Stich gelassen, von ihren Parteispitzen und von den Entscheidern im Parlament. „Wir haben keine Chance“, behauptet eine Betroffene. „Jeder Schritt dient dazu, die Abgeordneten zu schützen.“
Nur wenige Fälle geraten an die Öffentlichkeit. Vor wenigen Wochen zeigte eine Praktikantin den estländischen Abgeordneten Jaak Madison von der rechtspopulistischen Fraktion „Identität und Demokratie“ an, er habe sie wiederholt sexuell belästigt. Madison streitet die Vorwürfe ab und behauptet, die Praktikantin sei schizophren. Der parteilose griechische Abgeordnete Alexis Georgoulis wartet in Belgien wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung einer Kommissionsmitarbeiterin auf seinen Prozess. Und der rumänische Sozialdemokrat Mihai Tudose wurde vergangenes Jahr beschuldigt, eine parlamentarische Assistentin sexuell belästigt zu haben, auch er streitet die Vorwürfe ab.
„Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen“, erklärt Alejandra Oriola vom Harassment Support Network. Doch auch die Fälle, die bekannt werden, blieben für die Politiker meist folgenlos. Selbst dann, wenn ein Gericht sie schuldig gesprochen habe, dürften sie in vielen Fällen ihre Mandate behalten.