Politik und Theater: Merkel ehrt Ulrich Matthes: Mit ihm spricht sie sogar über die Liebe

Die Adenauer-Stiftung bittet heute zur Hommage an Ulrich Matthes, einen großen Schauspieler. Die Laudatio hält die Ex-Kanzlerin – als Theaterfan und langjährige Freundin. Die Verbindung der beiden zeigt, wie Kunst in die Politik hineinstrahlt. Und umgekehrt.

Aus dem, was er mit Angela Merkel jenseits des Theaters bespricht, macht der Schauspieler Ulrich Matthes stets ein großes Geheimnis. Verschwiegenheit ist eine Voraussetzung für die Beziehung. Nur einmal brach er diese Regel. Das war, als es um die Liebe ging.

„Ich war unglücklich verliebt“, erzählte Matthes 2021 dem Filmemacher Torsten Körner in die Kamera. „Und das hat sie sofort wahrgenommen.“ An einem Abend kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie, vermutlich nach einer Theater-Vorstellung, sagte Merkel zu ihm: „Sie sehen heute so graumäusig aus. Erzählen Sie doch mal.“ Und dann hätten sie eine knappe Stunde „über meinen verwackelten Seelenzustand gesprochen“, erinnert sich Matthes, auf der Straße, umringt von Sicherheitsbeamten. Am Schluss habe sie ihn dann in den Arm genommen, „sie hat mich wirklich so geknuddelt“. Und er habe gedacht: „Hoppala, also, ja, so ist sie.“

Angela Merkel und Ulrich Matthes trafen sich auf einer Gartenparty

Es ist eine bemerkenswerte Freundschaft, die Angela Merkel und Ulrich Matthes verbindet. Sie begann vor Merkels Regierungszeit und überdauerte auch deren Ende nach 16 Jahren. Merkel war eingeladen, als Matthes im Mai 2022 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse erhielt. Matthes war eingeladen, als Merkel ein knappes Jahr später das Großkreuz des Verdienstordens entgegennahm. An diesem Dienstag ehren sie einander erstmals gegenseitig, genauer gesagt spricht Merkel die Laudatio auf Matthes, dem die Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin eine Hommage widmet. Matthes, so schreibt die Stiftung, sei einer der „großen Mimen unserer Zeit, der nicht zuletzt das junge Publikum für die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Problemen gewinnt“.

Dieser Termin ist für Merkel wie für Matthes nicht ohne Pikanterie. Die Ex-Kanzlerin kehrt zurück in jene Stiftung, aus deren Vorstand sie erst vor wenigen Monaten ausgetreten ist, was als weiteres Indiz einer Abwendung von der CDU gewertet wurde. Der Schauspieler wiederum wird von der Stiftung der Partei geehrt, die Matthes genau einmal gewählt hat: 2017 – aber nur aus Sympathie und Respekt vor Merkels Lebensleistung, wie er später berichtete. Und verbunden mit der Ansage: „Noch einmal wähle ich die CDU aber nicht!“

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Matthes hat Merkel als Rednerin für diese Hommage ausgesucht, sie hat zugesagt. Man könnte vermuten, es handele sich um eine Art persönliche Abschlussprüfung: Nachdem sie den Verdienstorden in Schloss Bellevue bekommen hatte, bedankte sich Merkel bei Weggefährten und Freunden – auch bei Ulrich Matthes, weil er ihr „die Kunst des Sprechens immer ein bisschen beigebracht“ habe. Für ihre politischen Reden zumindest können das nicht allzu viele Lektionen gewesen sein. 

Kennlernparty im Garten

Merkel und Matthes haben sich auf einer Gartenparty des Filmemachers Volker Schlöndorff („Die Blechtrommel“) kennengelernt, es dürfte um das Jahr 2004 gewesen sein. Schlöndorff und Matthes hatten gerade zusammen den Film „Der neunte Tag“ gedreht. Matthes spielt darin einen im KZ Dachau inhaftierten katholischen Priester, der für eine diplomatische Mission das Lager kurzzeitig verlassen darf.

Schlöndorff, künstlerisch-politisch lange Zeit eher links verortet, unterstützte Merkel in ihrem Wahlkampf 2005. Wie die Film-Produzentin Regina Ziegler gilt der Regisseur als ein Türöffner für Merkel in die Kulturszene. 2009 erhielt auch Schlöndorff eine Hommage der Adenauer-Stiftung – umrahmt durch eine Lesung von Ulrich Matthes.

Der Schauspieler, dessen Vater Günther Matthes als Journalist für den Berliner „Tagesspiegel“ arbeitete, interessiert sich für Politik. Und für Politiker. „Vielleicht liegt das auch daran, dass mein Vater Journalist war und ab und zu Politiker zu uns nach Hause kamen – dadurch habe ich ein unbefangenes Verhältnis zu großen Tieren bekommen“, sagte er 2022 dem stern. „Ich quatsch die auf Empfängen einfach an.“

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Dabei, so scheint es, beweist er einen guten Riecher für sich entwickelnde Machtverhältnisse. Auf der Berliner Party einer großen Tageszeitung saß Matthes 2019 mit am Promi-Tisch. Er hätte sich mit Annegret Kramp-Karrenbauer unterhalten können, die kurz zuvor CDU-Vorsitzende geworden war und als ziemlich sichere Nachfolgerin Angela Merkels galt. Matthes aber steckte lieber mit einem Sozialdemokraten die Köpfe zusammen: Olaf Scholz.

Einfach angequatscht

Auch Merkel hat er einfach angequatscht. In verschiedenen Interviews hat Matthes von seiner ersten Begegnung mit ihr auf Schlöndorffs Gartenparty erzählt. Er habe sie auf den Apfelkuchen ihrer Mutter angesprochen, so Matthes. Den hatte er tatsächlich gegessen, als er Jahre vorher in Templin bei einer Benefizveranstaltung für eine Hugenotten-Kirche lesen sollte und wollte. Horst Kasner hatte sich für den Erhalt der kleinen Kirche mitten im Wald eingesetzt, Merkels Vater. Über diese Anekdote kamen Matthes und Merkel ins Gespräch.

„Wir saßen den ganzen Abend in kleiner Runde am selben Tisch und haben uns gut unterhalten“, so Matthes. Beim Gehen habe er ihr seine Telefonnummer gegeben. „Falls Sie mal wieder ins Deutsche Theater gehen, können wir vielleicht noch ’ne Kleinigkeit essen danach!“ So sei es losgegangen. Bisweilen reichert Matthes diese Episode mit Merkels Antwort an, ihre Theaterkarten werde sie aber selbst bezahlen. Das war quasi die kanzlertaugliche Version: bloß kein Verdacht der Vorteilsnahme.

Tatsächlich kam sie dann immer wieder. Und nicht nur ins Deutsche Theater. Viele Besuche sind von Zeugen verbrieft oder in Theaterkritiken erwähnt worden. 2011 sah Merkel Matthes bei den Salzburger Festspielen in Roland Schimmelpfennigs „Die vier Himmelsrichtungen.“ 2012 erlebte sie ihn in Berlin in John von Düffels „Ödipus Stadt“.

„Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn“

Eine besondere Veranstaltung mit Matthes im Deutschen Theater war im selben Jahr Wolfgang Schäuble gewidmet. Die Unions-Fraktion ehrte den damaligen Finanzminister zu dessen 70. Geburtstag. Der Schauspieler las, selbstverständlich in Anwesenheit Merkels, Friedrich Schillers „Die Bürgschaft“, die berühmte Ballade über Freundschaft und Loyalität: „Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn.“ Matthes hatte die Ballade selbst ausgesucht, auch als Anspielung auf das zerbrochene Verhältnis von Schäuble zu Helmut Kohl. Der Altkanzler war zu der Feier eingeladen, aber nicht erschienen. 

Im April 2019 besuchte Merkel die Premiere von Molières Menschenfeind. Von der Hauptperson Alceste zitiert Matthes gerne die Mahnung zu sorgsamem Umgang mit dem Begriff der Freundschaft: „Das schöne Wort wird, fürchte ich, zu leicht beschmutzt, wenn man es immerzu und überall benutzt.“ 

Merkel sieht auch Stücke ohne Matthes, redet aber hinterher mit ihm darüber. Bei Buletten und Senf, offenkundig das Stammgericht in der Kantine des Deutschen Theaters, diskutierten sie 2019 nach einer Aufführung von Sophokles‘ hochpolitischer Antigone, in der es unter anderem heißt: „Wer nur nach seinem Sinn regiert, herrscht bald allein in einem leeren Land“. Zwölf Tage nach dem Ende ihrer Amtszeit ging Merkel im Dezember 2021 in die Premiere von Kleists „Der zerbrochene Krug“. Matthes spielte den Dorfrichter Adam.

Sie kichern sehr viel miteinander

Die Gespräche mit Angela Merkel seien „immer besonders ausführlich“, hat Matthes einmal erzählt. „Sie nimmt sich manchmal nach der Vorstellung lange Zeit und unterhält sich mit mir alleine eine Stunde nur über das Stück.“ Sie frage dann nach Details der Inszenierung oder der schauspielerischen Darstellung und denke laut nach über das gerade Gesehene: Wie entstehen Kompromisse in der Politik? Wie funktioniert der Druck der öffentlichen Meinung. Solche Assoziationen leite sie gerne mit dem koketten Satz ein, sie kenne sich ja nicht aus mit Theater, aber…

Wenn Matthes Merkel erreichen wollte, als sie noch Kanzlerin war, schickte er ihr ein handschriftliches Fax. Nicht ins Kanzleramt, sondern zu ihr nach Hause. Ihre Handynummer hatte er nicht. Möglich, dass er ihr zu Corona-Zeiten mal geschrieben hat. In einem Doppel-Interview mit Wolfgang Schäuble beklagte sich Matthes 2021 im stern, dass die Kultur im Zuge der Schließungen öffentlicher Einrichtungen „bei Rummelplätzen, Bordellen, Nagelstudios und so weiter“ eingereiht worden sei. Das habe in der kulturellen Szene zu einer Entfremdung geführt. Versagen und Fehler bei den Masken, beim Testen, beim Impfen seien dazugekommen. „Sie merken, meine Bereitschaft, die Politik in Schutz zu nehmen, hat Schaden genommen“, so Matthes damals.

Die persönliche Beziehung mit Merkel hat auch das überlebt. „Für die Liebe wie für die Freundschaft gibt es ein entscheidendes Kriterium: der gemeinsame Humor“, hat Matthes mal gesagt. „Also wir kichern wirklich manchmal extrem viel miteinander.“