Auf Sylt skandieren Partygäste fremdenfeindliche Parolen, die Aufregung ist groß. Doch gibt es dafür auch strafrechtliche Konsequenzen? Ein Anruf bei Rechtsexperte Sönke Florian Gerhold.
Das Video einer Party auf Sylt schockt gerade Deutschland. Ein mutmaßlicher Hitlergruß und ausländerfeindliche Parolen sind darauf zu sehen – ist das strafbar, Herr Gerhold?
Wir sehen in dem Video Menschen, die „Deutschland den Deutschen!“ und „Ausländer raus!“ skandieren. Ein Mann deutet mit seinen Fingern einen Hitlerbart an. Wir sehen einen ausgestreckten Arm, dessen Hand im Takt der Musik wippt und der als Hitlergruß interpretiert werden könnte. Die Feiernden haben damit womöglich gegen Paragraph 86a Strafgesetzbuch verstoßen, der die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verbietet, beispielsweise die Verwendung von Kennzeichen der NSDAP, oder aber sich einer möglichen Volksverhetzung gemäß Paragraph 130 Strafgesetzbuch schuldig gemacht.
Und haben sie?
Das wird sich noch zeigen. Der Arm beispielsweise ist nicht ganz bis zu den Fingern gestreckt, die Hand ist meist etwas abgewinkelt und winkt. Man muss das in dem Kontext wohl als Andeutung eines Hitlergrußes interpretieren, aber es handelt sich meiner Einschätzung nach eben gerade nicht um einen solchen, weil die Körperhaltung und die Armhaltung trotz der gewollten Ähnlichkeit andere sind. Der Straftatbestand knüpft allerdings im Grundsatz an den Gruß in seiner historischen Form an. Insgesamt handelt es sich deshalb um eine Wertungsfrage.
Das bedeutet?
Das bedeutet, dass die Frage der Strafbarkeit von der Bewertung des jeweiligen Entscheidungsträgers abhängt, ob das gezeigte Verhalten der verbotenen Grußform entspricht oder nicht. Dies lässt sich nicht objektiv vorhersagen. Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass ebenfalls die Verwendung eines zum Verwechseln ähnlichen Kennzeichens strafbar ist. Aber auch das sehe ich auf dem mir bekannten kurzen Videoausschnitt nicht. Für die Beurteilung der Strafbarkeit kommt es nämlich bei Grußformen immer auf die gesamte Bewegung an. Ein kurzes Standbild, auf dem eine Ähnlichkeit zwischen der gezeigten Bewegung und der verbotenen zu erkennen ist, reicht da nicht aus. Vor oder nach dem bekannten Videoausschnitt kann der Arm aber zum Beispiel deutlicher zum Hitlergruß erhoben gewesen sei. Dass außerhalb des Videos ein verbotenes Kennzeichen verwendet wurde, kann ich daher nicht ausschließen.
Was ist mit dem Hitlerbart?
Der war ein Markenzeichen seines Trägers, aber nie ein Kennzeichen der verbotenen Partei als solcher. Oberlippenbärte sind grundsätzlich nicht verboten, also ist auch die Andeutung eines solchen strafrechtlich unkritisch.
Aber die Parolen wahrscheinlich nicht.
Sie könnten als Volksverhetzung gewertet werden. Aber dafür müssten sie nach Paragraph 130 Strafgesetzbuch auch zu Hass aufstacheln oder zu Gewalt und Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufrufen. Die Parolen wurden jedoch nicht in einem kämpferischen, aggressiven Kontext geäußert, aus dem man einen Gewaltaufruf ableiten könnte, sondern auf einer Party. Das ist zwar geschmacklos, aber es scheint allein auf Basis des kurzen Videoausschnitts unwahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft die Eignung der Tat zur Störung des öffentlichen Friedens bejaht. Mit einer Anklage rechne ich daher nicht.
Eine Anklage halte ich für unrealistisch.
Einige Menschen auf dem Video schienen auch ziemlich alkoholisiert. Spielt das auch eine Rolle bei der Bewertung?
Das kommt auf den Grad der Alkoholisierung an, aber die betreffenden Personen wirkten nicht so berauscht, dass sie als schuldunfähig angesehen werden könnten. Aber natürlich enthemmt Alkohol, und die Genannten haben sich vielleicht gerade deswegen keine genaue Vorstellung davon gemacht, welche Folgen ihr Tun haben könnte. Sollte auch der subjektive Tatbestand bejaht werden, könnte die Strafe zudem mit Blick auf eine verminderte Schuldfähigkeit der Betroffenen reduziert werden.
Welche Rolle spielt der Ort des Vorfalls? Macht es einen Unterschied, ob die Party privat stattfand oder an einem öffentlichen Ort wie in der „Pony“-Bar?
Auf jeden Fall! Die Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen und die Volksverhetzung verlangen immer eine gewisse Öffentlichkeit. Ohne Öffentlichkeit fehlt es regelmäßig an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens und einige Tatvarianten nehmen auch ausdrücklich auf Merkmale wie zum Beispiel eine Versammlung oder die Verbreitung im Internet Bezug.STERN PAID 15_24 Sylt 09.25
Sind Konsequenzen absehbar und, falls ja, welche?
Das können wir erst sagen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Das Verfahren könnte auch einfach eingestellt werden. Eine Anklage halte ich nach meinem derzeitigen Kenntnisstand für nicht wahrscheinlich. Aber je nachdem, wie der Vorfall am Ende beurteilt wird, droht nach Paragraf 130 Absatz 1 Strafgesetzbuch Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Selbst wenn es zu einer Verurteilung käme, dürfte jedoch nicht mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen sein. Realistischer wäre eine Geldstrafe, aber das hängt von zahlreichen Umständen ab, etwa davon, ob der jeweilige Täter schon einschlägig vorbestraft ist oder nicht.