Spendenaffäre: NRW-Innenminister Herbert Reul wegen Lobby-Kontakt in Erklärungsnot

Parteispenden und politische Kontakte zum mutmaßlichen Kopf eines Schleuserrings – wie Herbert Reul in den Strudel eines Kriminalfalls geriet

Rund vier Wochen ist es her, seit annähernd 1000 Beamte von Polizei und Staatsanwaltschaft mit einer spektakulären bundesweiten Razzia einen mutmaßlichen Schleuserring auffliegen ließen. Es gibt 38 Beschuldigte, sie sollen jahrelang wohlhabenden Menschen aus China und dem Oman illegal Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen in Deutschland verschafft haben, auch von Bestechung eines Amtsmitarbeiters in Düren ist die Rede. Der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, die die Ermittlungen leitet, gelang da offenbar ein Coup. 

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul, 71, eigentlich für eine harte Hand bei der Kriminalitätsbekämpfung bekannt, kann dennoch nicht nur glücklich auf diesen Fahndungserfolg blicken. Denn der Fall bringt ihn nun zunehmend selbst in Erklärungsnöte. Der Grund: Reul pflegte jahrelange politische Kontakte zu einem der Hauptverdächtigen, zu dem Anwalt Claus B. aus Frechen bei Köln. Acht offizielle Treffen bestätigt das Ministerium. Die Nähe ist pikant, weil sich der CDU-Politiker im Jahr 2022 von B. den Wahlkampf mitfinanzieren ließ – offenbar, um sich gleich darauf von dem auch anderweitig umtriebigen Juristen für dessen geschäftliche Interessen einspannen zu lassen. „Herr B. ist 2022 auf mich zugekommen. Er wollte sich mit mir treffen, weil er die Partei und mich im Landtagswahlkampf unterstützen wollte“, sagte er gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger, der zuerst über die Kontakte berichtet hatte: „Dass er mit etwas Verbotenem zu tun haben könnte, auf die Idee wäre ich nicht gekommen“, so Reul. 

PAID Herbert Reul 18.20

Ausgerechnet Reul. Dass der CDU-Minister etwas von möglichen illegalen Aktivitäten geahnt haben könnte, wirft ihm niemand vor. Trotzdem hat der Fall die Landespolitik erfasst. Für kommenden Dienstag hat die oppositionelle SPD im Landtag nun eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. 

Bei einem Treffen mit Herbert Reul ging es um Glücksspiel

Man fragt sich: Wobei war der Minister seinem ominösen Spender eigentlich dienlich? Dem stern liegen interne Informationen zu Kontakten zwischen Reul und Claus B. vor. In diesen Fällen trat B. in seiner Funktion als Geschäftsführer einer Berliner Beratungs- und Lobby-Agentur auf, in die er 2021 zusammen mit anderen Investoren eingestiegen war und die er bis zu seiner vorübergehenden Verhaftung Mitte April leitete. 

Einer der Agenturkunden war bis 2023 der Deutsche Sportwettenverband DSWV. Der versprach sich laut Agentur-Vertrag eine „Stärkung von Regierungskontakten“. Anfang August 2022, Innenminister Reul ist erst seit wenigen Wochen wieder im Amt vereidigt, kontaktiert Claus B. das Ministerbüro seines Parteifreundes. Sein Ziel: eine Audienz beim Innenminister. Das Anliegen: „Der neue Glücksspielvertrag – Nachbesserung notwendig. Fehlentwicklungen bei der Regulierung von Online-Glücksspielen vermeiden.“ So steht es in den internen Schreiben. Dazu muss man wissen: Der privaten Wettbranche sind Restriktionen ein Dorn im Auge. Und: Der Glücksspielvertrag, der 2021 zuletzt geändert worden war, ist Ländersache. 

Der Wettverband bewertet das Gespräch positiv

Reuls Büro bietet prompt einen Termin an, für einige Tage später. Am 16. August 2022 um 16.30 Uhr werden Claus B. und zwei Funktionäre des Verbandes an der Hauptpforte des Innenministeriums erwartet, so hatte es zuvor das Sekretariat des Ministers organisiert. Das Gespräch mit Reul läuft aus Sicht des Wettverbandes offenbar zufriedenstellend, jedenfalls sind interne Schreiben mit Lobbychef B. so zu verstehen. Erst als Reul die Sache an die Fachreferate herunterreicht, bekommt der Verband von dort plötzlich Gegenwind. Und wendet sich erneut hilfesuchend an Claus B. Der beruhigt und verspricht nachzujustieren: Er habe in der kommenden Woche sowieso einen Termin bei Reul. Am 29. September 2022 meldet B. an den Wettverband Vollzug zurück: Der Minister habe das Thema „auf dem Schirm“ und „zuständige Personen“ würden für einen „positiven Umgang“ erneut sensibilisiert. Hat sich der Innenminister da vor einen Karren spannen lassen? 

Auf stern-Anfrage bestätigt das Innenministerium in Düsseldorf, dass es bei dem Gespräch mit Reul um „mögliche Probleme im Glücksspielbereich für die Anbieter von Sportwetten“ gegangen sei. Im Nachgang zu dem Termin und nach interner Rücksprache in seinem Amt habe Reul die Bedenken und Ansinnen des Verbandes jedoch zurückgewiesen. „Wie Herr B. gegenüber Dritten das Gespräch kommentiert hat und seine Einschätzung, welchem Zweck dieses Treffen dienen sollte, entziehen sich der Kenntnis des Ministers“, so eine Sprecherin. „Dass ein »Gesprächsanbahner« wie Herr B. im Nachgang eines Treffens dieses dem Verband gegenüber als positiv bewertet, verwundert allerdings nicht.“ Ein weiteres angefragtes Treffen zum Glückspielstaatsvertrag habe Reul abgelehnt.

Sportwetten Betano Hinweisbeschluss 1955

Der Sportwettenverband war nicht der einzige Agenturkunde, dem Unternehmer Claus B. Kontakte zu der Innenbehörde des Landes verschaffte. Ab Dezember 2023 bemühte er sich für die Palturei GmbH um einen Termin. Das Data-Tech-Unternehmen, zu dessen Kunden Banken und Behörden gehören, vertreibt unter anderem eine Software, die Firmengeflechte scannt und so kriminelle Netzwerke aufspüren können soll. Ein Treffen mit Reul kommt diesmal nicht zustande, allerdings vermittelt das Ministerium den Software-Hersteller an das Landeskriminalamt, um dort vorstellig zu werden. Am Ende wird aus der Sache nichts, aber in der Rückschau wirkt es wie ein Treppenwitz: Claus B. will der Polizei bei der Fahndung helfen.

Kontakte auch zur Regierung in Hessen

Mehr Erfolg hatten Claus B. und seine Agentur in diesem Fall übrigens in Hessen. Dort gelang es, im Dezember 2023 für Palturai einen Termin bei dem damaligen Innenminister Peter Beuth, ebenfalls CDU, zu vereinbaren. „Unter anderem wurde eine Software vorgestellt, die nach eigenen Angaben für Ermittlungen im Bereich Organisierte- und Wirtschaftskriminalität eingesetzt werden kann“, bestätigt das Ministerium in Wiesbaden auf stern-Anfrage. Danach habe es keine weiteren Treffen mehr gegeben. Beuth, der auch Mitglied im CDU-Bundesvorstand war, ist seit Januar 2024 nicht mehr Mitglied des Kabinetts.

Für Herbert Reul in Düsseldorf erscheint die Verbindung zu Strippenzieher Claus B. besonders brisant, weil der heute in Verdacht stehende Unternehmer neben Spenden etwa an die Junge Union sowie an einen anderen CDU-Kreisverband im Frühjahr 2022 auch Reuls Wahlkampf für dessen CDU-Kreis Rhein-Berg kräftig bezuschusste. Konkret sollen drei Tranchen à 9.990 Euro an den CDU-Kreisverband geflossen sein – alle vom 25. April 2022. Eine Zahlung stammte von Claus B. persönlich, die anderen beiden wurden angeblich von Unternehmenskonten überwiesen, bei denen B. das Sagen hatte. 

Die Aufteilung der Gelder kommt nicht zufällig. Ab einer Höhe von 10.000 Euro tauchen Parteispender namentlich im Rechenschaftsbericht der Parteien auf. Die Organisation Transparency kritisiert eine solche Praxis. „Hier wurde ganz offensichtlich die Umgehung der Offenlegungspflicht angestrebt“, sagt Norman Loeckel von Transparency Deutschland gegenüber dem stern. „Spendenstückelung“ sei ein beliebtes Mittel zur Verschleierung. Verboten sei so etwas indes nicht. Juristisch treten hier die Firmen als selbständige Spenderinnen auf.

Mittlerweile hat Claus B. die meisten seiner geschäftlichen Funktionen niederlegen müssen. In dem Schleuserfall, der ihm zur Last gelegt wird, erreichten seine Anwälte inzwischen, dass B. die Untersuchungshaft gegen Auflagen verlassen konnte. Das Schleusernetzwerk soll über fingierte Arbeitsverträge und Wohnadressen mindestens 147 Ausländern und ihren Familien Aufenthaltsberechtigungen verschafft haben. Dafür sollen sie üppige Honorare kassiert haben. Die Staatsanwaltschaft stellte Millionensummen sicher. Weitere Drahtzieher und Geschäftspartner sitzen noch in Haft. Anfragen des stern um Stellungnahmen bei den Anwälten blieben unbeantwortet.