Das Klartext-Interview mit Bundeskanzler Scholz hat heftige Reaktionen ausgelöst. Der stern-Chefredakteur ordnet die Stimmen ein und gibt einen Einblick ins neue Heft.
Wir Journalisten führen Interviews, damit diese gelesen werden. Deswegen hat es uns gefreut, dass das stern-Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz („Ich neige nicht zum Rumheulen“) heftige Reaktionen auslöste. Etwas mulmig wurde mir allerdings zumute, als unser Titelbild gar im X-Account (früher Twitter) des Politikers auftauchte, stolz gepostet von Scholz selbst. Zugleich erreichten uns Aussagen aus der SPD, es habe eine neue Kommunikations-Offensive von Scholz begonnen, und der erste Schritt dafür sei das stern-Gespräch gewesen.
Es ist kein journalistisches Rumgeheule, wenn sich daraus die Sorge ergibt, wir könnten dem Kanzler zu sehr eine Bühne gezimmert haben. Dem aber war nicht so, das Gespräch wurde genauso kritisch geführt wie jedes andere Politiker-Interview, vielleicht sogar kritischer, Scholz ist immerhin der Chef vom Ganzen.
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Doch offenbar hat sein Team zwei Punkte erkannt: Ein Regierungschef, der in verständlichen Sätzen spricht, findet mehr Gehör. Und: Scholz und die SPD mögen bei den Wählern gerade nicht sonderlich beliebt sein. Aber sozialdemokratische Forderungen, um die das Interview kreiste, etwa ein deutlich höherer Mindestlohn und eine großzügige Rentenpolitik, kommen in der Bevölkerung gut an. Wie eine aktuelle Forsa-Studie ergibt, wollen mehr als 80 Prozent der Deutschen an der „Rente mit 63“ festhalten.
Kann Scholz mit Sozi-Forderungen im Wahlkampf wieder zulegen, gerade gegen einen Rivalen Friedrich Merz? Das ist die große Wette der SPD, und deswegen werden wir wohl bald häufiger einen Klartext-Kanzler erleben.
Fürstentum Monaco und Rammstein
Bei der Côte d’Azur handele es sich um einen „sunny place for shady people“, schrieb Somerset Maugham, einen sonnigen Ort für ziemlich düstere, gar windige Typen. Ich überlasse Ihnen nun die Einschätzung, was es über mich aussagt, dass ich diese Region besonders liebe: das Licht, das Meer, die Farben, die Städte. Ein Ort in der Region entzieht sich allerdings meiner Zuneigung, und dieser heißt Monaco, just der Fleck, für den Maugham sein Bonmot prägte.
Zum Glück ist unsere Frankreich-Korrespondentin Andrea Ritter aufgeschlossener: Sie hat sich im Fürstentum, wo am Wochenende wieder Formel-1-Boliden durch die Häuserschluchten rasen werden, umgeschaut. Dabei entdeckte sie manches, was meinen Argwohn rechtfertigt (sie schrieb mir: „Schmucklose Betonklötze überschatten die pastellfarbenen Paläste einer vergangenen Zeit, dunkel verglaste Wolkenkratzer ragen in den Himmel, quietschgelbe Lamborghinis und bonbonorange Mustangs drängeln sich unter grünen Palmen …“). Ritter fand jedoch zugleich heraus, warum selbst eine Milliardärs-Enklave über neue Geschäftsmodelle nachdenken muss, etwa ein sauberes Steuerparadies zu werden und obendrein eines, in dem es um Umweltschutz geht.
Dass Rammstein-Sänger Till Lindemann – Sie wissen schon: der mit dem Skandal um „Row Zero“, mit Peniskanone und „Pussy“-Songs – eine eher zwielichtige Person ist, würde dieser wohl selbst fröhlich bejahen. Seine Fans feiern ihn bei Konzerten ohnehin wieder, außerdem wurde das Verfahren gegen Lindemann eingestellt. Hat sich denn wenigstens in der Musikindustrie und speziell am Umgang der Stars mit ihren Fans etwas geändert? Die Journalistin Lena Kampf und der Journalist Daniel Drepper, beide maßgeblich beteiligt an den Rammstein-Recherchen, haben dazu ein Buch veröffentlicht, aus dem wir einen Auszug vorab drucken, ergänzt durch Recherchen meiner Kollegin Thembi Wolf, die eines der Rammstein-Konzerte in Dresden besucht hat, und meines Kollegen David Baum. Ihr Ergebnis lautet, kurz zusammengefasst: Ja, aber …