Verfassungs-Jubiläum: Brauchen wir eine Volksabstimmung über das Grundgesetz?

Pünktlich zum Verfassungsjubiläum will Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow eine Volksabstimmung über das Grundgesetz, um Ostdeutsche mehr einzubinden. Seine Amtskollegen halten davon nichts.

Vor den beginnenden Feierlichkeiten zum Jubiläum des Grundgesetzes hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff Forderungen seines Thüringer Amtskollegen Bodo Ramelow nach einer Volksabstimmung über die Verfassung zurückgewiesen. „75 Jahre nach seiner Verkündung sollte es nicht darum gehen, über das Grundgesetz abzustimmen“, sagte der CDU-Politiker dem stern. Vielmehr gehe es darum, es weiter mit Leben zu füllen sowie es zu achten und zu bewahren. 

Die neuen Länder hätten sich im Jahr 1990 bewusst für den Beitritt entschieden, erklärte Haseloff. Die Werte des Grundgesetzes wie Demokratie, Menschenwürde und Meinungsfreiheit entsprächen dem, wofür die Menschen 1989 auf die Straße gegangen seien. 

Ramelow, Linke-Ministerpräsident in Thüringen, hatte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eine Volksabstimmung über eine Verfassung gefordert, um die „emotionale Fremdheit“ vieler Ostdeutscher gegenüber dem Grundgesetz zu überwinden. Er berief sich dabei auf Artikel 146, in dem heißt: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ 

Widerstand auch in Brandenburg

Auch der Brandenburger SPD-Regierungschef Dietmar Woidke widersprach Ramelow. Zwar bestünden zwischen Ost und West immer noch Ungerechtigkeiten, die endlich abgebaut werden müssten, sagte er dem stern. „Doch von Volksabstimmungen zum Artikel 146 des Grundgesetzes hat kein einziger Ostdeutscher etwas.“ Das Grundgesetz sei seit 75 Jahren Basis für Freiheit, Wohlstand und Entwickung, fügte er an: „Ich halte die Abschaffung des Artikel 146 deshalb für den besseren Weg.“ 

Der frühere Thüringer CDU-Regierungschef Bernhard Vogel wandte sich ebefalls gegen Ramelows Vorschlag. „Ich halte nichts davon, jetzt per Volksabstimmung das Grundgesetz formal zur Verfassung zu machen“, sagte er dem stern. Im Jahr 1990 sei der Beitritt nach Artikel 23 „aus guten Gründen“ beschlossen worden. „Der wichtigste Grund: Niemand wusste, wie lange die internationalen Rahmenbedingungen für die Wiedervereinigung günstig bleiben würden.“ 

Vogel hatte vor seiner Amtszeit in Thüringen als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz regiert. Er räumte ein, dass die Art und Weise der Vereinigung bis heute Missstimmungen produziere. „Natürlich sehe ich den Nachteil, dass auch wegen des Betritts über den Artikel 23 bei vielen Ostdeutschen das Gefühl entstand, nicht wirklich im geeinten Deutschland mitbestimmen zu können und im Ergebnis zweitklassig zu sein“, sagte er. Aber dieses Sentiment werde nicht durch einen symbolischen Akt beseitigt.

Haseloff warnt vor verstärkter „Ost-Mentalität“

Zu den zum Jubiläum geplanten Veranstaltungen in Berlin und anderen Städten sagte Haseloff:  „Wir Ostdeutschen wollen nicht bei Feierlichkeiten und Festreden Berücksichtigung finden, sondern dort, wo Entscheidungen fallen: zum Beispiel in Führungspositionen bei Unternehmen, Gremien und Bundesbehörden.“ An dieser Stelle benötige es größere Anstrengungen von allen Seiten: „Sonst wird sich wieder verstärkt eine Ost-Mentalität bilden“. 

In diesem Sinne äußerte sich auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (SPD): „Generell meine ich, dass der Anteil Ostdeutscher in Spitzenämtern in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft weiter steigen muss“, sagte sie dem stern.