Reichsbürger-Prozess: Auftakt gegen Gruppe Reuß in Frankfurt: Allein die Anklageverlesung dauerte über zwei Stunden

In Frankfurt ist an diesem Dienstag der Prozess gegen Heinrich XIII. Prinz Reuß und acht weitere Mitglieder einer mutmaßlichen Terrorgruppe gestartet. Die Vorwürfe wiegen schwer. Einige der Angeklagten geben sich vor Gericht dennoch selbstbewusst.

In einem Gewerbegebiet im Westen Frankfurts steht eine Leichtbauhalle, viel Alu, wenig Fenster. Man könnte sie für eine gewöhnliche Lagerhalle der Industrie halten. Wären da nicht Nato-Draht und bewaffnete Polizisten rundherum, die dem Gebäude den Anschein einer Hochsicherheitsanlage verleihen. 

Hier müssen sich seit dem heutigen Dienstag neun der mutmaßlichen Verschwörer um den Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß vor Gericht verantworten. Darunter auch Reuß selbst. Außerdem jene Angeklagte, die als strategisch wichtige Figuren der mutmaßlichen Terrorgruppe gelten.

Da ist: Rüdiger von Pescatore, neben Reuß mutmaßlicher Rädelsführer und ehemals Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251, einer Vorläufereinheit des Kommando Spezialkräfte. Da ist auch Peter Wörner, ein Überlebenstrainer und ehemaliger Fallschirmjäger unter Pescatore. Außerdem Maximilian Eder, Bundeswehroberst a.D., Birgit Malsack-Winkemann, ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, Michael F., ehemaliger Polizist und Mitglied der Querdenker-Partei „dieBasis“, Johanna Findeisen-Juskowiak, ebenfalls Mitglied von „dieBasis“, und Hans-Joachim H., mutmaßlich tief in die Finanzierung der Gruppe verstrickt. 

Die Gruppe Reuß soll einen bewaffneten Umsturz geplant haben

Sie alle sind als Terroristen angeklagt. Als Unterstützerin der Gruppe steht außerdem die ehemalige Lebensgefährtin des Prinzen, Vitalia B., vor dem Oberlandesgericht. Der Gruppe wird vorgeworfen, einen bewaffneten Umsturz geplant zu haben, mit dem Ziel, die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Die Pläne sollen demnach weit fortgeschritten gewesen sein und die Mitglieder sollen bereits begonnen haben, ein Schattenkabinett aufzubauen. Im Rahmen einer Großrazzia im Dezember 2022 wurden die meisten von ihnen verhaftet und sitzen seither in Untersuchungshaft.

STERN PAID 05_23 Reichsbürger Titel

Ein Reporterteam von „stern“ und „RTL“ hat seit dem vergangenen Herbst umfangreich zu dem Fall recherchiert. Es hat Ermittlungsunterlagen eingesehen, darunter abgehörte Telefonate, verschlüsselte Kommunikation, Observierungsprotokolle, insgesamt mehr als 400.000 Dokumente. (Hinweis: Die Texte, Fernsehberichte, eine TV-Dokumentation und vieles mehr finden Sie gebündelt auf dieser Seite von stern.de.)

Um sieben Uhr morgens an diesem Dienstag warten bereits Besucher und Pressevertreter auf den Einlass in den Gerichtssaal. Ein paar haben Campingstühle dabei. Man rechnet mit langen Wartezeiten und strengen Einlasskontrollen. An Absperrungen vorbei müssen Besucher die Halle betreten. Bei Gesprächen in der Warteschlange fallen immer wieder Stammheim-Vergleiche: So manches erinnere an die Prozesse gegen die erste Generation der Roten Armee Fraktion, RAF. Nur dass dieser Prozess noch größer ist. 

Beobachter gehen davon aus, dass der Reichsbürger-Prozess mehrere Jahre dauern wird

In Frankfurt startet der zweite einer Serie von Terrorprozessen gegen Unterstützer und Mitglieder der Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß. Der erste wurde im April in Stuttgart gegen neun mutmaßliche Mitverschwörer eröffnet. Angeklagt ist dort auch Markus L., dem nicht nur die Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird, sondern auch versuchter Mord. Er hatte bei seiner Verhaftung auf Polizisten geschossen. Der Prozessauftakt am Oberlandesgericht München gegen acht weitere Mitglieder der Gruppe ist für den 18. Juni 2024 angesetzt. 

Für das Verfahren in Frankfurt sind zunächst 48 weitere Prozesstage geplant. Beobachter und Beteiligte gehen davon aus, dass sich die Verhandlung über Jahre hinweg ziehen wird. 

PAID SI2 Birgit Malsack-Winkemann 

Der große Saal in Frankfurt ist durch Glasscheiben von den 120 Menschen im Zuschauerraum abgeschirmt. Etwa eine Million Euro soll die eigens für den Mammut-Prozess hochgezogene Halle und deren Betrieb kosten. Neben dem Vorsitzenden Richter finden vier beigeordnete Richter und zwei Ergänzungsrichter auf einem Podest Platz. Auf Seiten der Anklage gibt es Raum für 35 Menschen; neun Angeklagte, 26 Anwälte. 

Um viertel vor neun bauen sich Demonstrierende im Industriegebiet auf, eine antifaschistische Kundgebung. Auf einem Banner steht „Alle zusammen gegen den Faschismus“ und auf kleinen Schildern „rechten Terror stoppen“. Gegen neun Uhr betreten die ersten Verteidiger den Saal, die meisten scheinen sich zu kennen. Sie scherzen.

Heinrich XIII. Prinz Reuß erweckt zumindest optisch den Eindruck, als sei er nicht in U-Haft gesessen

Schließlich, gegen halb elf: Auftritt der Angeklagten. Jeweils zwei Justizbeamte führen sie in die Halle. Handschellen tragen sie nicht. Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann erscheint mit finsterem Blick und Daunenjacke, sie sieht blass aus, fast kränklich. Die Ex-Militärs, der mutmaßliche Rädelsführer Pescatore und sein einstiger Schützling Wörner, kommen mit breiter Brust und teils selbstbewusster Miene herein. Maximilian Eder hingegen, ein schmächtiger Mann mit langem Haar – erst kürzlich wegen Trunkenheit am Steuer zu zehn Monaten Haft verurteilt – sieht aus, als müsste er von den Justizbeamten nicht geleitet, sondern gestützt werden.

Heinrich XIII. Prinz Reuß erweckt – anders als Malsack-Winkemann – nicht den Eindruck, als habe er die vergangenen Monate in Untersuchungshaft gesessen. Er erscheint frisch frisiert und wirkt aufgeräumt. Nur, als er dem Richter seine Personalien bestätigen soll, muss er sich länger räuspern.

Was hier ab heute verhandelt wird, ist die Frage nach der jeweiligen Beteiligung des Einzelnen als mutmaßliches Mitglied oder Unterstützer in einer terroristischen Vereinigung. Gleichzeitig geht es in Frankfurt aber auch um etwas viel Grundlegenderes: um die Frage, wie wehrhaft unsere Demokratie gegen mutmaßlichen Terror von rechts ist. 

Bei der Anklageverlesung schütteln manche mit dem Kopf

Die Anwälte der Angeklagten, in Teilen bekannt für ihre Verbindungen in die rechte Szene, beginnen schon kurz nach Feststellung der Anwesenheit, um das Wort im Gerichtssaal zu ringen. Sie feuern gegen den Senat. Eine ganze Reihe von Anträgen wollen sie noch stellen bevor die Anklage verlesen wird. Es geht etwa um die Ablehung des Vorsitzenden Richters, oder darum, die Anklage gar nicht erst zu verlesen. Alle Anträge werden abgelehnt oder ausgesetzt. Es ist eine erste Kostprobe, wie die Verteidigung in diesem Prozess agieren wird. Der Ton ist gesetzt.

Und ähnlich wie beim Prozessauftakt in Stuttgart versuchen auch die Verteidiger in Frankfurt eine Zusammenlegung der insgesamt drei Prozesse in Frankfurt, München und Stuttgart zu erwirken. Nur so, das ist ihre Argumentation, könne die Verteidigung gewährleistet werden. „Man hat hier einen Neubau hingestellt“, sagt Roman von Alvensleben, einer der Verteidiger von Prinz Reuß in der Verhandlungspause. „Den hätte man auch größer machen können.“

Am Nachmittag wird schließlich die Anklage verlesen. Zweieinhalb Stunden dauert das. Ein Teil der Angeklagten, etwa Prinz Reuß, folgen ihr ohne Regung. Malsack-Winkemann, Findeisen-Juskowiak und auch von Pescatore schütteln immer wieder erheitert oder ungläubig den Kopf.

Professor Dr. Martin Schwab, Verteidiger von Findeisen-Juskowiak, gibt zum Ende hin noch eine erste Erklärung für seine Mandantin ab und sorgt damit zum ersten Mal für ungläubiges Gemurmel im Zuschauerraum. Schwab spricht darüber, was überhaupt eine Verschwörungstheorie sei. Er deutet an, dass der Kindesmissbrauch durch Politiker – ein in der Gruppe um Reuß weitverbreitetes Narrativ – jedenfalls keine sei. 

Roman von Alvensleben, der Verteidiger von Prinz Reuß, sagte dem „stern“im Vorfeld, im Laufe des Prozesses werde sich herausstellen, dass nichts so sei, wie es scheint. Eine echte Überraschung ließ dieser erste Prozesstag zumindest noch vermissen. 

BiGA Malsack-Winkemann