Die fortwährenden Negativ-Schlagzeilen über Boeing sorgen für Verunsicherung: Ist es noch sicher, in eine Maschine des US-Flugzeugbauers zu steigen? Aktuelle Daten zu Flugzeugunfällen zeichnen da ein klares Bild, wie die stern-Grafiken zeigen
Die schlechten Nachrichten für Boeing reißen nicht ab: Vor einigen Tagen gab das US-Justizministerium bekannt, ein Strafverfahren gegen den Flugzeugbau-Giganten im Zusammenhang mit zwei tödlichen Abstürzen in den Jahren 2018 und 2019 mit insgesamt 346 Toten zu prüfen. Das Unternehmen habe gegen Verpflichtungen aus einer Vereinbarung verstoßen, die Boeing vor einer strafrechtlichen Verfolgung der Abstürze bewahrt habe, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums vom Dienstag. Boeing weist die Vorwürfe zurück.
Die Nachrichten kommen für das ehemalige Vorzeigeunternehmen einmal mehr zur Unzeit: Die 737-Max-Flugzeuge verloren nach den Abstürzen beinah weltweit die Zulassung und mussten lange am Boden bleiben. Boeing führte Nachbesserungen durch, erst nach zahlreichen Tests und Kontrollen darf das Modell seit einiger Zeit wieder abheben. Im Januar dieses Jahres kam es dann erneut beinahe zur Katastrophe: Bei einer 737-9 Max der US-Fluggesellschaft Alaska Airlines brach im Januar kurz nach dem Start ein Rumpffragment heraus. Nur zufällig waren die Sitze in der Nähe des Lochs unbesetzt. Weil das Flugzeug zudem noch in relativ geringer Höhe war, kam niemand ernsthaft zu Schaden (mehr zu den Problemen bei Boeing lesen Sie hier).
Die Vorfälle erfuhren weltweit eine große Aufmerksamkeit und dürften bei vielen Menschen die Frage aufgeworfen haben: Sollte ich noch in ein Flugzeug steigen? Speziell eines von Boeing?
Passagierflüge: Entwicklung von Aufkommen und Unfällen
Wie ist es also um die Sicherheit bei Passagierflügen bestellt? Flugzeugbauer Airbus – knapp vor Boeing Weltmarktführer – hat dazu eine Auswertung gemacht und das Ergebnis im Februar 2024 veröffentlicht. Die Daten zeigen: Die Zahl der Passagierflüge ist weltweit im untersuchten Zeitraum 1958 bis 2023 immer weiter angestiegen und sackte lediglich während der Corona-Pandemie ab 2020 zwischendurch kräftig ab.
Die Zahl der tödlichen Unfälle mit Passagierjets ist hingegen in dieser Zeit immer weiter gesunken, wie die Grafik zeigt:
Für die Auswertung wurden offizielle Daten von Luftfahrtbehörden ausgewertet, ebenso Daten der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation der UN, des Luftfahrt-Analyseunternehmens Cirium und selbst erhobene Zahlen aus den Airbus-Datenbanken. Untersucht wurden Flüge von Düsenflugzeugen (Jets) von 16 westlichen Flugzeugbauern (unter anderem Airbus, Boeing, Bombardier, Embraer, Lockheed, McDonnell Douglas) mit einer Kapazität von mehr als 40 Passagieren. Geschäftsflugzeuge wurden nicht berücksichtigt. Ebenso wurden Passagierjets außen vor gelassen, die nicht aus westlicher Fertigung stammen, da die benötigten Informationen nicht zur Verfügung standen. Einzige Ausnahme ist der russische Suchoi Superjet, der ebenfalls in die Betrachtung aufgenommen wurde.
Technische Evolution bringt mehr Sicherheit
Sicherheit ist seit jeher nicht nur oberstes Gebot, sondern auch der wichtigste Image-Faktor in der zivilen Luftfahrt. Das ist nicht verwunderlich in einer Branche, die tonnenschwere Maschinen voll mit Menschen und hochexplosivem Treibstoff in tausende Meter Höhe schickt. Entsprechend streng sind die Sicherheitsvorschriften und dementsprechend ist auch die technische Weiterentwicklung stets auf Sicherheitsverbesserung und Risiko-Minimierung ausgelegt. 2023 stand erstmals die Null: Im vergangenen Jahr ereignete sich dem Bericht zufolge kein einziger tödlicher Unfall mit einer der untersuchten Maschinen, was vor allem ein Ergebnis der technischen Evolution bei den Flugzeugen ist.
Airbus unterteilt die Passagierjets in vier Generationen, die technisch immer ausgefeilter und damit auch sicherer wurden. In der ersten Generation gab es zwar schon frühe Autopilotensysteme, die Piloten mussten allerdings weitgehend manuell fliegen und mit analogen Instrumenten auskommen. Seit der vierten und bislang modernsten Generation gibt es das Fly-By-Wire-System. Die Steuerung erfolgt nicht mehr hydraulisch und per Steuerhorn, sondern elektronisch mit sogenannten Sidesticks und vom Computer überwacht.
Die untenstehende Galerie zeigt, wie sich die Cockpits im Laufe der Jahre entwickelt haben, welche Systeme hinzugekommen sind und in welcher Generation die meisten Unfälle passiert sind.
Passagierjets: Evolution im Cockpit
Die vierte Generation übernimmt also zunehmend, während die unfallanfälligeren Vorgänger im Ruhestand sind. Analog dazu liest sich die Entwicklung bei tödlichen Unfällen. Und auch mit Blick auf Totalschäden wurde 2023 bei den untersuchten Maschinen kein Vorfall erfasst:
Luftfahrt Unfälle und Totalschäden
Wie passt Boeing in das Bild?
Fliegen, so scheint es, ist also technisch und statistisch betrachtet im Laufe der Jahrzehnte immer sicherer geworden. Wie passen da die Boeing-Zwischenfälle mit der auch noch recht neuen 737 Max ins Bild? Das Modell wird zwar erst seit 2017 ausgeliefert, ist aber eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Designs, weshalb Airbus es in seinem Report noch zur dritten Generation zählt. „Betrachtet man die Boeing 737, die sich nach wie vor gut verkauft, sieht man im Grunde einen Oldtimer vor sich“, schreibt ein Flugkapitän auf dem Fachportal „Airliners“. Das Max-Modell erhielt zwar ebenso wie andere moderne Jets eine Software zur Unterstützung der Piloten. Diese griff aber stärker als erwartet in die Steuerung ein und war dadurch Auslöser der Abstürze von 2018 und 2019 wie Ermittlungen ergaben. Boeing hatte bei der Zertifizierung des Typs durch US-Behörden spezielle Schulungen für die Software zudem für unnötig erklärt. Bei dem Vorfall im Januar 2024 wiederum fehlten an dem abgerissenen Rumpfteil offenbar vier Bolzen.
Zu den Vorfällen kamen weitere Pannen und vor allem viel negative Presse hinzu. Alles Vorfälle, die nicht dazu beitragen, Vertrauen in Boeing und den Pannenflieger 737 Max zurückzugewinnen. Entsprechend steht der Konzern allerdings in punkto Sicherheit momentan unter verschärfter Sicht der Behörden. Rein statistisch gesehen – und das gilt auch für Boeing-Flugzeuge – ist Fliegen heutzutage wohl sicherer als je zuvor.
Quellen: Airbus, „Airliners„, „Seattle Times„