Eigentlich sollen sie beraten, nicht streiten: Die Wirtschaftsweisen sind einflussreich Ökonomen. Seit wann es sie gibt und wofür sie zuständig sind – hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
„Streit unter den Wirtschaftsweisen droht zu eskalieren“, schlagen die Medien gerade Alarm. Es geht um den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), in dem fünf Ökonominnen und Ökonomen sitzen und über die Wirtschaftslage beraten. Derzeit gehören ihm folgende Professorinnen und Professoren an: Monika Schnitzer, Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Achim Truger und Martin Werding. Vergangenen Mittwoch haben sie ihr Frühjahrsgutachten vorgestellt. Ansonsten fallen die Weisen gerade durch ihren Zoff im Verhältnis 4:1 auf.
Hintergrund der Reiberei: Alle Weisen wollen LKW mit Batterieantrieb, um die Klimaziele zu schaffen – nur Veronika Grimm ist dagegen. Sie plädiert für „Technologieoffenheit“ und Brennstoffzellen, die mit Wasserstoff laufen. Deshalb hat sie gegen das Kollegium ein Minderheitsvotum abgegeben.
Tieferer Hintergrund des Zanks: Veronika Grimm sitzt seit 2023 im Aufsichtsrat von Siemens Energy. Das Unternehmen ist unter anderem im Brennstoffzellen- und Wasserstoffgeschäft tätig. Die vier anderen fürchten, dass es daher zu einem Interessenkonflikt komme. Sie haben die Ökonomin per Mail aufgefordert, sich für einen Job zu entscheiden – was nicht passiert ist. Monika Schnitzer wettert besonders laut. Die Damen sind sich ohnehin nicht grün, 2021 hatten beide um den SVR-Vorsitz gerungen – Schnitzer gewann.
Warum gibt es den Sachverständigenrat für Wirtschaft?
Der SVR wurde 1963 eingerichtet. Damals war CDU-Mann und Ökonom Ludwig Erhard noch Wirtschaftsminister. Das Parlament in Bonn beschloss per Gesetz, einen Expertenstab zu installieren, der die gesamtpolitische Entwicklung neutral beobachtet und analysiert. Im Gegensatz zum „Council of Economic Advisors“ in den USA sollte der Sachverständigenrat nicht nur die Regierung in den Feldern Sozial-, Finanz- und Konjunkturpolitik beraten, sondern alle relevanten politischen Instanzen und die Öffentlichkeit. Damit die Volkswirtschaft im Sinne der sozialen Marktwirtschaft möglichst gut gedeihe.
Welche Aufgaben hat der Sachverständigenrat für Wirtschaft?
Als Hauptaufgabe muss der SVR jedes Jahr bis zum 15. November ein Jahresgutachten vorlegen. Die Bundesregierung wiederum muss dazu binnen acht Wochen Stellung nehmen und erklären, welche Schlussfolgerungen sie daraus zieht. Darüber hinaus erstellt der SVR vor allem im Auftrag der Bundesregierung Sondergutachten und Expertisen zu Spezialthemen. Seit 2014 gibt es zusätzlich das Frühjahrsgutachten. Laut SVR finden pro Jahr im Schnitt 14 Sitzungstermine mit 37 Sitzungstagen statt, zudem Anhörungen, Treffen mit dem Bundeskanzler und Pressekonferenzen.
Wie unabhängig sind die Politikberater?
Auf dem Papier müssen sie völlig unabhängig sein. Traditionell wird jeweils ein Mitglied auf Vorschlag des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft („Arbeitgeberticket“, derzeit Werding) und der Gewerkschaften („Gewerkschaftsticket“, derzeit Truger) berufen. Die Auswahl der fünf Ökonominnen und Ökonomen verantwortet der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung. Das Staatsoberhaupt muss sicherstellen, dass kein SVR-Kandidat einem Parlament, einer Regierung, einer Verwaltung von Bund und Ländern oder einer Tarifpartei angehört. Das Amt ist auf fünf Jahre (drei beim Vorsitz) begrenzt, man kann allerdings wiederberufen werden. Als weitere Sicherung wurde ein Rotationssystem installiert: Turnusmäßig scheidet jedes Jahr ein Mitglied aus. Die Geschäftsstelle ist beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden angesiedelt, dort tagt das Gremium auch. Unterstützt werden die Weisen von einem „Wissenschaftlichen Stab“ mit einem Generalsekretär und 17 wissenschaftlichen Mitarbeitern.
Welche Kritik gibt es an den Wirtschaftsweisen?
Manche Staatsrechtler behaupten, die Wirtschaftsweisen seien eine „unverantwortliche Nebenregierung“. Das ist nicht übertrieben, denn der Rat arbeitet tatsächlich nicht nur analytisch, sondern lässt sich immer wieder zu Empfehlungen hinreißen. Qua Vorgaben darf er der Regierung aber eigentlich keine konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen anpreisen.
Auch stellen Experten den Sinn der teuer bezahlten Prognosen in Frage. Wem hilft es, wenn der SVR im März 2023 noch ein Wirtschaftswachstum für 2024 von 1,3 Prozent prognostizierte, sich im Herbst kurzum auf 0,7 Prozent korrigierte, nur um sie nun noch einmal auf 0,2 Prozent zu senken?
Wie einig müssen sich die fünf Weisen sein?
Sollten sich die fünf Ökonominnen und Ökonomen im SVR nicht auf eine gemeinsame Bewertung der Wirtschaftslage einigen können, dürfen abweichende Position von der Mehrheit im Jahresgutachten festgehalten werden. Das sind die sogenannten Minderheitsvoten. 2021 zeigten sich die Folgen dieser Souveränität drastisch. Damals fand sich kein neuer Vorsitzender, nachdem der alte ausgeschieden war. Die vier verbleibenden Wirtschaftsweisen brachten in der Folge keine mehrheitsfähige Bewertung der volkswirtschaftlichen Situation zustande, es kam zum Patt. Schließlich erschienen erstmals zwei abweichende Jahresgutachten, eingefasst in einem Band. Das Gremium drohte in eine tiefe Krise zu rutschen.
Was kostet uns Steuerzahler das Gremium?
Die Wirtschaftsweisen erhalten eine nicht publizierte Pauschale aus dem Steuertopf. Diese legen Wirtschafts- und Innenministerium gemeinsam fest. Kritik gibt es vor allem an den zu erstattenden Ausgaben: Laut Presseberichten beliefen sich die Reisekosten des Rats 2023 auf rund 300.000 Euro. Allein Ulrike Malmendier, die in Berkeley, Kalifornien, lebt und lehrt, verursachte 200.000 Euro, 13.000 Euro kostete im Schnitt eine Reise nach Deutschland. Nun sind die Reisekosten auf 100.000 Euro pro Mitglied gedeckelt. Ins Gewicht fällt hier aber auch, dass die Weisen längst nicht mehr der einzige Beirat sind. Inzwischen hat der Bund jede Menge Beratungsgremien eingesetzt, vom Deutschen Ethikrat über das Bundesjugendkuratorium und den Beirat Radverkehr bis zum Wehrmedizinischen Beirat. Entsprechende Begleitkosten ergeben sich von selbst.