Ein Fernsehsender deckt auf, dass die rechtspopulistischen Schwedendemokraten über anonyme Social-Media-Accounts Schmutzkampagnen gegen andere Parteien und Regierung fahren. Die liberal-konservative Koalition gerät dadurch in Schieflage. Und die Rechten spielen die Unschuldigen.
Trolle sind ein Ärgernis. Gemeint sind nicht die nordischen Fabelwesen. Gemeint sind die Internet-Trolle, die in sozialen Netzwerken anonym gegen Regierungen hetzen, diskriminieren und beleidigen. Auch staatliche Mächte agieren mit sogenannten Trollfabriken, um Einfluss auf Meinungen und Demokratie in anderen Staaten zu gewinnen. Russland wird genau das vorgeworfen. Was aber, wenn eine solche Fabrik im eigenen Land agiert, sogar in den eigenen politischen Reihen? Genau das stürzt die schwedische Regierung derzeit in eine Krise.
Was war geschehen? Ein investigativer Reporter der Sendung „Kalla fakta“ des Fernsehsenders TV4 hat monatelang undercover in der Kommunikationsabteilung der rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) gearbeitet. Die Partei unterstützt die konservativ-liberale Minderheitsregierung in Stockholm und arbeitet mit der Koalition aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen zusammen. Mit versteckter Ausrüstung wurden Sitzungen und andere Situationen aufgezeichnet. Ein SD-Mitarbeiter soll dabei das Wort „Trollfabrik“ benutzt haben.STERN PAID Brandmauer gegen Rechts in Schweden 17.02
„Deep Fakes“, rassistische Posts – und scharfe Kritik
„Kalla fakta“ konnte bei der Undercover-Recherche 23 sogenannte Troll-Accounts identifizieren, die von der Kommunikationsabteilung der SD kontrolliert worden sein sollen. Diese Accounts hätten vor allem Memes gepostet, die einerseits den politischen Gegner, aber auch Regierungsvertreter diskreditierten und lächerlich machten. Auch rassistische Posts und solche mit Bezug zur „White Power“-Bewegung sollen darunter gewesen sein.
Medienberichten zufolge wurden die Accounts aber auch zur Verbreitung von Propaganda und Desinformation genutzt. Auch sogenannte „Deep Fakes“ – Videoclips, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz erstellt wurden, um den Eindruck zu erwecken, dass eine Person Dinge sagt, die sie in Wirklichkeit nie gesagt hat – sollen zum Einsatz gekommen sein. In den ersten drei Monaten des Jahres hatten die Accounts zusammen mehr als 27 Millionen Aufrufe, berichtete die Zeitung „Dagens Nyheter“. Das alles kommt wenige Wochen vor den Europawahlen ans Licht.
Die Recherchen lösten erwartungsgemäß heftige Kritik bei den Koalitionsparteien aus. Ministerpräsident Ulf Kristersson sagte, dies schade dem Vertrauen. Auf die Frage, ob man den Schwedendemokraten trauen könne, antwortete er am Mittwoch: „Das kann ich im Moment nicht beantworten.“ Die Liberalen sehen die Vereinbarungen zwischen Koalition und SD gebrochen, die Vorsitzende der Christdemokraten forderte SD-Chef Jimmie Åkesson auf, in seiner Partei aufzuräumen.FS Demonstrationen gegen rechts16.44
Schwedendemokraten sehen sich als Opfer
Doch der wäscht seine Hände und die seiner Partei, die er seit 2005 führt, in Unschuld. Es gebe keine Trollfabrik, die Posts der Accounts seien Satire und die Enthüllungen eine Kampagne gegen die Schwedendemokraten. Im schwedischen Fernsehen SVT sprach er von „Kampagnenjournalismus“.
Am Donnerstag dann Krisensitzung zwischen der Minderheitsregierung und der Partei, die ihr die Mehrheit im Parlament verschafft. 45 Artikel sollen gelöscht werden, sagt SD zu. Eine Entschuldigung gibt es auch. Aber die Accounts löschen – das kommt für die Rechtspopulisten nicht in Frage, berichtet SVT. Åkesson zeigte sich jedoch offen für Gespräche.
Konsequenzen gab es dennoch: Auf Youtube wurden zwei Accounts der Schwedendemokraten gesperrt. Ein Parteimitglied, das mit einem Troll-Account in Verbindung gebracht wurde, soll aus der SD ausgetreten sein. Und zwei Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung wurden mit anderen Aufgaben betraut, berichtet die Zeitung „Expressen“.
Schwedens Minderheitsregierung in Bedrängnis
Der Fall ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Trotz des Versprechens der Schwedendemokraten, den Ton gegenüber den Regierungsparteien zu mäßigen: In den Regierungsparteien brodelt es weiter, vor allem bei den Liberalen. Mehrere lokale Parteimitglieder fordern ein Ende der Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten.
Doch das würde die bürgerliche Regierung in arge Bedrängnis bringen. Denn auch wenn die Schwedendemokraten nicht in der Regierung sind – ohne sie hat die Koalition keine Mehrheit im Parlament. Das ist im „negativen Parlamentarismus“Schwedens an sich kein Problem, denn eine Regierung braucht hier nur keine Mehrheit gegen sich. Ohne die SD – immerhin zweitstärkste Partei im Parlament – wäre aber die Gefahr größer, dass genau dieser Fall eintritt. Die Minderheitsregierung hätte es dann noch schwerer.
Auch Regierungschef Kristersson steht wegen seiner schwachen Reaktion in der Kritik. „Wir haben die zweitgrößte Partei Schwedens, die ihre Trollarmeen verteidigt und unabhängige Medien in Frage stellt. Das ist sehr ernst“, sagte der Vorsitzende der Zentrumspartei. Der Skandal untergrabe die Führungsrolle des Ministerpräsidenten.PAID Tabubruch Schweden Schwedendemokraten 17.06
„Das ist die Art von Fall, die eine Koalition leicht beschädigen oder sogar auflösen kann, wenn man die Bedeutung der rechten Partei in der schwedischen politischen Landschaft bedenkt“, sagte eine Quelle aus dem Umfeld der Liberalen dem Portal „Euractiv“.
Der Schaden ist angerichtet. Ob sich die vier Parteien davon erholen können oder ob er irreparabel ist, wird die Zukunft zeigen.
Ruhe kehrt in der Affäre jedenfalls nicht ein. Die Zeitung „Aftonbladet“ konnte aufdecken, dass es offenbar schon seit 2012 Pläne für Online-Kampagnen mit anonymen Absendern bei den Schwedendemokraten gegeben haben soll. Auch der Sender TV4 steht in der Kritik. Die schwedische Agentur für psychologische Verteidigung hat Beschwerde gegen den Bericht „Kalla fakta“ eingelegt, schreibt „Aftonbladet“ weiter. Interviews mit Vertretern der Agentur seien für den Beitrag in völlig anderen Zusammenhängen geführt und aus dem Zusammenhang gerissen worden, so der Vorwurf. TV4 weist dies zurück.
Der Skandal ist also noch nicht vorbei. Ausgang ungewiss.
Quellen: TV4, SVT, „Dagens Nyheter“, „Aftonbladet“, „Expressen“, „Sundsvalls Tidning“, „Euractiv“, Bundeszentrale für politische Bildung