Victoria’s Secret zeigt im Herbst wieder eine große Laufstegshow. Dabei hatte die Marke 2019 noch das Aus des Engel-Spektakels verkündet. Warum das Comeback das Ende der Diversität bedeutet
Das Instagram-Video zeigt das blonde Topmodel Candice Swanepoel backstage bei einer Show. Sie hält ihr Handy in der Hand, tippt eine Nachricht. „Models an den Laufsteg!“, schreibt sie. „Packt eure Flügel ein!“ Bevor einem dämmert, was die Südafrikanerin damit meinen könnte, steht sie auch schon auf und zeigt den Aufdruck auf dem Rücken ihres T-Shirts. „We are back“ steht da geschrieben, darunter der Name: Victoria’s Secret.
Himmel, möchte man schreien, die Show der gefallenen Engel – sie ist zurück!
Dabei hatte die Marke doch erst 2019 ihren Models die Flügel gestutzt und das Aus der schrillen Soft-Porno-Parade verkündet. Viele Jahre galt die Show als großes Entertainment, Millionen Zuschauer schauten weltweit dabei zu, als hochbezahlte Topmodels wie Candice Swanepoel, Gisele Bündchen oder Kendall Jenner halbnackt und in Unterwäsche über den Laufsteg schritten.
Wie eine Soft-Porno-Show: Halbnackte Models auf dem Victoria’s Secret-Laufsteg
© Ian Langsdon/ EPA
Dass die Show nun im Herbst zurückkehren wird, mit all dem vermeintlichen Glamour und der Ikonisierung seiner Wäsche-Engel, gleicht einer Katastrophe. Denn: Waren wir nicht längst einen Schritt weiter in Sachen Feminismus und Vielfalt?
Fünf Jahre sind seit dem letzten Show-Spektakel vergangen. Eine lange Zeit, in der manch einer vielleicht vergessen haben könnte, warum Victoria’s Secret damals scheiterte.
Victoria’s Secret: der tiefe Fall der einst gehypten Marke
Tatsächlich ist die Marke das Paradebeispiel dafür, was zu jener Zeit schief lief. Damals breitete sich die #MeToo-Bewegung aus, immer mehr Frauen wehrten sich gegen die Übermachtstellung vieler Männer. Ein Problem, das auch bei Victoria’s Secret nicht unbekannt war. Übergriffe, Missbrauch und Frauenfeindlichkeit gehörten zum Alltag, nur wurden Klagen darüber von der Führungsriege stets im Keim erstickt. Doch als man Leslie Wexner, CEO von Victoria’s Secret und Gründer der Muttergesellschaft L Brands, Verbindungen zum verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein nachweisen konnte, musste dieser endlich seinen Hut nehmen.
Auch ein anderer alter, weißer Mann fiel zu jener Zeit flügellos von seinem Posten: Marekting-Chef Ed Razek. Damals liefen Frauen Sturm gegen das auf den Laufstegen gezeigte Schönheitsideal, das ihnen vorgegaukelte, wie sie auszusehen hätten. Groß, schlank, durchtrainiert: Viele Frauen begriffen, dass sich auch Models nur durch hartes Training und Dauer-Diät in nahezu unerreichbar schöne Engel verwandelten. Da damals sogar in den Modemetropolen Models mit unterschiedlichen Größen über die Laufstege schritten, hinterfragten viele, warum nicht auch Victoria’s Secret auf ein diverseres Modelcasting setze. Ed Razek, Marketing-Chef der Wäschefirma, hatte darauf eine klare Antwort: „Warum nicht? Weil die Show eine Fantasie ist. Ein 42-minütiges Unterhaltungsspektakel. Darum nicht!“
Doch genau darüber stolperte Victoria’s Secret: über dem Image der Männerfantasie. Über Jahre hatte man aus den Augen verloren, für wen man eigentlich Dessous schneiderte, nämlich für Frauen. Ihre Antwort: Sie wandten sich ab von der Marke. Der tiefe Fall von Victoria’s Secret – es war auch ihr Triumph.
Victoria’s Secret: Auf ewig eine Männerfantasie
Zwar gab es in den letzten Jahren immer wieder Vorstöße der Wäschefirma, sich diverser zu geben. Man warb mit Plus-Size-Models wie Paloma Elsesser, ebenso mit der lesbischen Fußball-Weltmeisterin und LGBTQ-Aktivistin Megan Rapinoe. Doch das Image blieb angekratzt.
Dass die Show nun im Herbst zurückkehren wird, ist wie eine Farce – und eine große Enttäuschung. Denn tatsächlich hofften viele darauf, dass Vielfalt nicht nur ein schickes Modewort bleibt, sondern ein echten Wandel passiert. Immerhin bilden unterschiedliche Körperformen und Hautfarben das wahre Lebens ab. Doch auf den Laufstegen zeigt sich schon seit einiger Zeit, dass die einst gefeierte Diversität deutlich schwindet. Während der Schauen in Paris und Mailand in diesem Frühjahr sah man nur vereinzelt ein Plus-Size-Model, stattdessen aber viele ultradünne Mädchen, die an den Heroin Chic der Neunziger erinnerten.
Auch wenn man es nicht wahrhaben möchte, zementiert das Comeback der Victoria’s Secret-Show doch: Wir stehen in Sachen Diversität wieder am Anfang. Vom Himmel in die Hölle – welch ein Abstieg.