Wer will für die CSU oder AfD nach Brüssel? Wer für die SPD, die Grünen, den BSW, die Familien-Partei oder die Freien Wähler? Eine Übersicht der deutschen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten bei der anstehenden Europawahl.
Ursula von der Leyen
Der CDU-Bundesvorstand hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Februar einstimmig als Spitzenkandidatin für die Europawahl Anfang Juni nominiert. CSU-Chef Markus Söder schrieb auf der Plattform X, dass die aus Niedersachsen stammende Politikerin „natürlich Spitzenkandidatin“ der Union sei. „Die CSU wird sie kraftvoll unterstützen.“ Im März wurde von der Leyen offiziell Kandidatin der europäischen Parteienfamilie EVP für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission. Die CDU-Politikerin wurde in der rumänischen Hauptstadt Bukarest bei einem Kongress formell aufgestellt. In einer Rede nannte von der Leyen damals den Kampf für Frieden, Sicherheit, Freiheit und Wohlstand als einen Schwerpunkt für ihre Wahlkampagne. „Das Signal von Bukarest heute ist, dass die EVP für Europa steht, für ein starkes, sicheres, friedliches, wohlhabendes, demokratisches und geeintes Europa“, sagte die 65-Jährige. Zudem kündigte sie einen entschlossenen Einsatz für die Interessen von Landwirten und kleinen und mittleren Unternehmen an. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine betonte von der Leyen, Ziel sei es, Kiew weiterzuhelfen – „so lange wie notwendig“. Sie bekräftigte, dass die EVP den Plan unterstütze, in der künftigen Kommission den neuen Posten eines Kommissars für Verteidigung zu schaffen.
Als Präsidentin der EU-Kommission ist von der Leyen seit dem 1. Dezember 2019 Chefin von rund 32.000 Mitarbeitern, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Wahrung der Europäischen Verträge überwachen. Zudem sitzt die 65-Jährige bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am Tisch. Das US-Magazin „Forbes“ kürte von der Leyen erst jüngst wieder zur „mächtigsten Frau der Welt“.
Manfred Weber
Einer der erfahrensten Europapolitiker der deutschen Kandidatinnen- und Kandidaten: Seit 2004 sitzt der CSU-Mann im Europäischen Parlament. 2019 hatte er es auf das Amt des Kommissionspräsidenten abgesehen, das schließlich an von der Leyen ging. Wegen eines drohenden Rechtsrucks im EU-Parlament bezeichnete er die Wahl im Juni als „Schicksalswahl“. Die Frage, ob man Europa angesichts des Heranwachsens von Nationalismus zusammenhalten könne, müsse alle umtreiben. Und die CSU werde verteidigen, was die Gründerväter aufgebaut hätten: Wenn die AfD sage, dieses Europa müsse sterben, dann sage Weder: Man werde dieses Europa verteidigen, stärken und in die Zukunft führen, „weil es für Frieden und Wohlstand steht“. Als Schlüssel sieht er das Thema Migration: „Wir müssen das Thema jetzt lösen und alle, die sich dieser Lösung verweigern, tragen große Verantwortung.“ Zudem will Weber das geplante Verbrennerverbot ab 2035 aufweichen.IV Schmit12:07
Katarina Barley
Als Bundestagsabgeordnete sammelte sie zunächst Erfahrungen in Berlin, jetzt als Vizepräsidentin des EU-Parlaments auch in Brüssel und Straßburg. Barley hat einen harten inhaltlichen Wahlkampf gegen die AfD angekündigt. „Ernsthaft vorzuschlagen, dass Deutschland, das in der Mitte Europas liegt, in dem jeder fünfte Arbeitsplatz von der EU abhängt, aus der EU austritt, ist wahnsinnig“, sagte die Europapolitikerin. Für ihre eigene Partei hat Barley ein Wahlziel ein Ergebnis über den historisch niedrigen 15,8 Prozent von 2019 ausgegeben. „Ich möchte für die SPD natürlich gerne mehr als das erreichen – und das hat die SPD auch verdient“, so die SPD-Politikerin. Die Sozialdemokratin hofft dabei auf eine Trendwende und Rückenwind aus Berlin.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann
„Streitbar in Europa“ – unter diesem Slogan geht die FDP mit der Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann ins Rennen, die sich selbst gern als „Eurofighterin“ bezeichnet. Die 66-Jährige will ein starkes und wehrhaftes Europa. „Für die EU gilt: Wir brauchen weniger von der Leyen und mehr von der Freiheit. Die Populisten von rechts und links wollen nach Europa, um es von innen heraus zu zerstören. Das dürfen wir nicht zulassen, das werde ich nicht zulassen“, machte sie klar. „Ich möchte mit Ihnen allen für Europa kämpfen.“ Die streitbare Politikerin setzt sich auch für die europäische Verteidigung ein.
Terry Reintke
Trotz ihrer erst 36 Jahre kann Reintke schon eine lange Karriere als EU-Politikerin vorweisen. Als damals jüngste Grünen-Abgeordnete kam Theresa „Terry“ Reintke 2014 ins Europaparlament. Seit einem Jahr ist sie Ko-Vorsitzende der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz, der Abgeordnete aus 17 Ländern angehören. Im November wurde sie vom Bundesparteitag in Karlsruhe mit 95,2 Prozent zur Spitzenkandidatin der deutschen Grünen gewählt. Die Transformation der Wirtschaft ist eines der Themen, die Reintke in Brüssel und Straßburg vertritt. Reintke streitet im EU-Parlament nicht nur für Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit, sondern auch für die Rechte der Frau und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Reintke lebt in einer Beziehung mit der französischen Grünen-Politikerin Melanie Vogel, Senatorin im französischen Oberhaus. Sie setzt sich dafür ein, dass queere Menschen sich outen und ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen.
Als Spitzenkandidatin der europäischen Grünen könnte es für die überzeugte Europapolitikerin richtig steil nach oben gehen: Möglicherweise winkt sogar ein Posten als EU-Kommissarin. Jedes EU-Mitgliedsland kann einen Vorschlag für die Besetzung eines Postens in der Kommission einbringen. Zum Zug käme Reintke allerdings nur, wenn Ursula von der Leyen (CDU) nicht wiedergewählt wird. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien heißt es dazu: „Das Vorschlagsrecht für die Europäische Kommissarin oder den Europäischen Kommissar liegt bei Bündnis 90/Die Grünen, sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt.“FS Chronik AfD 17.34
Maximilian Krah
Zum Spitzenkandidaten wurde mit 65,7 Prozent Zustimmung der sächsische Europaabgeordnete Maximilian Krah gewählt. Seine Kandidatur wurde auch vom Rechtsaußen-Lager der Partei unterstützt. Krah ist in der AfD umstritten. Im EU-Parlament gab es seinetwegen mehrfach Ärger. Die rechtsnationale Fraktion Identität und Demokratie (ID) hatte ihn zu Beginn des Jahres für drei Monate suspendiert. Dabei ging es um den Vorwurf, dass Krah die Vergabe eines PR-Auftrags der Fraktion manipuliert haben soll. Seine Mitgliedschaft in der Fraktion war 2022 schon einmal für mehrere Monate ausgesetzt worden. Damals wurde ihm vorgeworfen, dass er im französischen Präsidentschaftswahlkampf nicht Marine Le Pen von der ID-Mitgliedspartei Rassemblement National, sondern öffentlich die Partei des Rechtsextremen Éric Zemmour unterstützte.
Krah setzte in seiner Bewerbungsrede stark auf das Thema Patriotismus. „Wir wollen ganz Deutschland zu einem großen Sonneberg machen“, sagte der Europaabgeordnete mit Blick auf den ersten Landratsposten für die AfD, den sie im Juni in dem thüringischen Landkreis errungen hatte. Die AfD habe „endlich was zu sagen“. Den Delegierten in Magdeburg rief der 46-Jährige zu: „Wir sind ein Volk, weil, wenn wir unsere Familienalben zeigen, dann erkennen wir, dass schon unsere Großväter und unsere Urgroßväter ein Volk sind.“ Zuletzt sorgte ein Spionage-Skandal um einen seiner inzwischen ehemaligen Mitarbeiter für Schlagzeilen. Auch Vorwürfe wegen finanzieller Unterstützung aus Russland und China belasten den Politiker. Krah tritt deshalb beim Europawahlkampf mehr in den Hintergrund.
Martin Schirdewan und Carola Rackete
Schirdewans politische Basis liegt in Thüringen. Er will sich zwar keinem Parteiflügel zuordnen, gilt aber als Pragmatiker und will das Profil der Linken „als moderne sozialistische Gerechtigkeitspartei wieder stärken“. Im Europaparlament setzt der Enkel des früheren SED-Politikers Karl Schirdewan vor allem auf Steuergerechtigkeit, eine gerechte Finanzpolitik oder die Kontrolle großer Konzerne. Seine Mitstreiterin Carola Rackete wurde als Kapitänin der „Sea-Watch“ international bekannt: Im Juni 2019 rettete sie 53 Menschen vor der Küste Libyens aus dem Mittelmeer und lief nach wochenlangem Warten entgegen des Verbots der italienische Behörden den Hafen der Insel Lampedusa an. Dass sie trotzdem vorrangig als „Flüchtlingskapitänin“ wahrgenommen wird, ärgert Rackete. Sie sieht ihren Schwerpunkt als Europaabgeordnete in der Klimapolitik, sagte sie in Augsburg: „Die größte soziale Krise dieser Zeit ist die Klimakrise, sie betrifft jeden Aspekt des menschlichen Lebens, sie macht jedes soziale Problem noch schlimmer.“
Fabio de Masi und Thomas Geisel
Der langjährige Linkenpolitiker de Masi verweist gerne auf seinen italienischen Großvater, der als Partisan gegen die Faschisten gekämpft habe. De Masi saß von 2014 bis 2017 für die Linke im Europaparlament, seine Schwerpunkte waren der Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Danach vertrat der Diplom-Volkswirt bis 2021 die Linke im Bundestag, war Obmann der Fraktion im Untersuchungsausschuss zum Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard. Der 43-Jährige war Mitbegründer des von Wagenknecht 2018 initiierten Bündnisses „Aufstehen“. Aus Kritik am Kurs der Linken verließ der in Hessen geborene Deutsch-Italiener 2022 die Partei – und wollte eigentlich nicht mehr politisch tätig sein.
Thomas Geisel war sechs Jahre lang SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf, bis er 2020 sein Amt an die CDU verlor. Nach 40 Jahren SPD-Mitgliedschaft schloss sich der Vater von fünf Töchtern Anfang Januar dem Wagenknecht-Bündnis an. Als Oberbürgermeister habe er manche Vorgabe aus Brüssel für die kommunale Ebene als „übergriffig“ erlebt, trotzdem sei er „leidenschaftlicher Europäer“ geblieben.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) setzt in seiner Kampagne für die Europawahl am 9. Juni ganz auf die Zugkraft seiner Namensgeberin. Inhaltlich wolle sich das BSW unter anderem dafür einsetzen, „dass Europa wieder eine Friedensmacht wird“. Auf kleineren Wahlplakaten sind auch die BSW- Spitzenkandidaten für die Europawahl, Fabio de Masi und Thomas Geisel, zu sehen. Auf die Frage, warum Wagenknecht so prominent plakatiert wird, obwohl sie nicht für das Europaparlament kandidiere, verwies Ko-Parteichefin Mohamed Ali auf die Bekanntheit der BSW-Gründerin. Bei der ersten Wahl, zu der die Partei antritt, sei es daher sinnvoll, das Wagenknecht im Fokus stehe.
Christine Singer
Die Bäuerin, die mir ihrer Familie einen Milchviehbetrieb bewirtschaftet, möchte als Praktikerin im EU-Parlament mitmischen. „Mein Vor-Ort-Wissen möchte ich in die Europapolitik einbringen, ich weiß, wo der Schuh wirklich drückt: Entscheidungen müssen wieder mehr im Sinne der Regionen getroffen werden. Gesetze müssen wieder alltagstauglich gestaltet werden und den Betroffenen nicht mehr Probleme bereiten, als für Entlastung zu sorgen.“ Sie will dafür unter anderem den Mittelstand entlasten, angepasste Standards für EU-Importe, mehr Eigenversorgung und weniger Abhängigkeiten und eine stärkere europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
Martin Sonneborn und Sibylle Berg
Die Satirepartei „Die Partei“ geht mit ihrem Vorsitzenden Martin Sonneborn und Schriftstellerin Sibylle Berg an der Spitze in den Europawahlkampf. Die beiden wurden bereits im September in Mainz auf die ersten beiden Plätze der Liste gewählt, wie Sonneborn sagte. Bei der vergangenen Europawahl hatte „Die Partei“ zwei Plätze im Europaparlament errungen, der Satiriker NiKo Semsrott verkündete dann Anfang 2021 seinen Austritt aus der Partei, so dass zuletzt nur noch Sonneborn „Die Partei“ in dem Parlament vertrat.
Sebastian Everding, Aída Spiegeler Castañeda und Robert Gabel
Die Tierschutzpartei geht mit einem Trio ins Rennen. Spitzenkandidat Everding wolle mit seinen Mitstreitern „das Engagement, das wir bereits auf kommunaler Ebene aufgebaut haben, nun im Europäischen Parlament ausbauen“. Die Partei konnte 2014 und 2019 bereits jeweils ein Mandat im Europaparlament erringen. Jetzt sehe man die Chance, dass es alle drei nach Brüssel schaffen. Ganz oben auf unserer politischen Agenda stehen Tierwohl, aber auch mehr Engagement für Klimaneutralität, eine humane Asylpolitik und die Angleichung der Sozialsysteme.Europawahl
Manuela Ripa
Seit vier Jahren sitzt Ripa für die ÖDP schon im EU-Parlament, wo sie sich nach eigenen Angaben „für ein ökologisches und nachhaltiges Europa“ einsetzt. Das Herz der ökologisch-demokratischen Politikerin schlägt für den Umwelt- und Klimaschutz, Tierwohl und Verbraucherschutz. Nach eigenen Angaben wurde Ripa zweisprachig in Deutsch und Italienisch erzogen. Durch ihre Nähe zu Frankreich und Luxemburg habe sie schon von Kindesbeinen an ein Europäisches Bewusstsein entwickelt.
Anja Hirschel, Anne Herpertz und Lukas Küffner
Schon im Juni vergangenen Jahres – fast ein Jahr vor der Wahl zu Europaparlament – hatte die Piratenpartei ihre zwanzigköpfige Wahlliste vorgestellt. Ein Trio stellt hier die Spitzenkandidaten. Besonders im Bereich Digitales will man in Europa etwas bewegen, sagte Spitzenkandidatin Hirschel. „Wir sind die Digitalkompetenz, die in der Politik bei anderen Parteien fehlt. (…) Ich möchte in Europa die Stimme der Freiheit sein, um die Menschen vor dem Überwachungsfanatismus der EU-Kommission zu schützen, denn sonst tut es niemand.“ Bürger- und Freiheitsrechte sind den drei Kandidaten ein wichtiges Anliegen im Wahlkampf.
Niels Geuking, Sarah Drewes und Helmut Geuking
Ebenfalls ein Trio – darunter Vater und Sohn. Helmut Geuking saß bis vor Kurzem noch im Europaparlament; sein Sohn Niels ist nachgerückt. Die Familien-Partei will die EU familienfreundlicher machen, ein europäisches Kindergeld und ein Erziehungsgehalt. Zudem möchte sie, dass wieder mehr Kinder geboren werden und Eltern mehr Zeit für ihre Kinder haben. Kindererziehung und Beruf sollen daher besser vereinbar sein, fordert die Partei.
Damian Boeselager, Nela Riehl, Kai Tegethoff und Rebekka Müller
30 Kandidatinnen und Kandidaten hat die Partei Volt aufgestellt – vier davon bilden das Spitzenteam. Die Partei will Europa reformieren, mit einem Schwerpunkt auf soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz. Weiteres Thema im Wahlkampf ist eine „innovationsfreundliche, konkurrenzfähige und digitale Wirtschaft“. Vor allem geht es dem Quartett um den Kampf gegen Rechtspopulismus in Europa. „Lasst uns den antidemokratischen Tendenzen eine positive Vision von Europa entgegensetzen! Ich bin noch nicht fertig – und Volt fängt gerade erst richtig an!“, sagt der Europaparlamentarier. Seine Mitstreiterin Nela Riehl ergänzt: „Illiberale Tendenzen nehmen in Europa zu. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass Menschenrechte nicht verhandelbar werden!“
Quellen: Nachrichtenagenturen AFP, DPA und Reuters, FDP, Freie Wähler, Partei Mensch Tierschutz Umwelt, ÖDP, Piratenpartei, Familien-Partei Deutschlands, Volt, Deutschlandfunk
Bilder: AFP, DPA, Imago Images, Volt, Familien-Partei, ÖDP, Tierschutzpartei