Studie: Blanker Hass und offene Drohungen: Fast jeder zweite Wissenschaftler von Anfeindungen betroffen

Es ist ein wichtiger Teil ihrer Arbeit, dass Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse in der Öffentlichkeit erklären. Doch diese Öffentlichkeit kann ihnen auch gefährlich werden, wie jetzt eine Studie zeigt.

Er wurde im Familienurlaub auf einem Campingplatz als „Massenmörder“ beschimpft und zog anschließend vor Gericht. Ein anderes Mal bekam er Post mit einer Art „menschlichem Blutserum“ und sagte dem Magazin „Spiegel“ dazu: „Solche Hassbotschaften sind zur Normalität geworden.“ Christian Drosten wurde während der Corona-Pandemie für viele Menschen zum Feindbild und bekam die Wut vor allem online zu spüren. Dass er bei weitem nicht der einzige Wissenschaftler ist, der Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt ist, zeigt die bundesweit erste repräsentative Studie auf diesem Gebiet.

„Anfeindungen gegen Forschende sind ein ernst zu nehmendes Problem“

45 Prozent der befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, Anfeindungen, Beleidigungen oder konkrete Drohungen erlebt zu haben. Erhoben hat die Ergebnisse das Deutsche Zentrum für Hochschul- & Wissenschaftsforschung (DZHW) in Kooperation mit anderen Institutionen, die den Bereich Wissenschaftsfeindlichkeit untersuchen. 2600 Forschende wurden dafür in einer repräsentativen Studie befragt, die Ergebnisse am Donnerstag veröffentlicht.STERN PAID 29_21 Hass im Netz   17.00

Zu Anfeindungen käme es vor allem dann, heißt es, wenn wissenschaftliche Ergebnisse als Grundlage für gesellschaftlich und politisch umstrittene Entscheidungen dienten. „Die Wut über diese politischen Entscheidungen oder das Gefühl, dass die eigenen menschlichen Handlungsmöglichkeiten begrenzt werden, können sich dann auch in Angriffen gegen Forschende niederschlagen“, sagt der Studienleiter Clemens Blümel. Beispiele: die Corona-Pandemie, Forschung zu Migration oder Klimawandel. Sogar innerhalb der wissenschaftlichen Welt gebe es dann Anfeindungen und die Ergebnisse würden diskreditiert.

Am meisten berichteten Befragte davon, dass ihre Kompetenz angezweifelt, dass auf Forschungsergebnisse unangemessen reagiert würde oder dass die Forschenden persönlich angegriffen wurden. Eine Minderheit sprach aber auch von strafrechtlich relevanten Drohungen, Sachbeschädigungen oder sogar Todesdrohungen.

Hilfe für betroffene Wissenschaftler

Seit Juli 2023 gibt es eine zentrale bundesweite Beratungsstelle für Forschende (Scicomm-Support), die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei konkreten Anfeindungen unterstützen will. Die Studienergebnisse sollen auch in die Arbeit dieser Beratungsstelle einfließen. Eine wichtige Anlaufstelle, sagt Benedikt Fecher, Geschäftsführer von Wissenschaft im Dialog: „Von Forschenden wird heute erwartet, dass sie sich aktiv am öffentlichen Diskurs beteiligen.“ Diese Offenheit mache jedoch angreifbar. Das zeigen Beispiele wie Drosten und viele andere.

Corona Bilanz Gesichter der Pandemie 16.30

So tingelte Karl Lauterbach als studierter Mediziner in der Coronazeit durch die Talkshows, erklärte Studienergebnisse und politische Entscheidungen. Heute ist er Bundesgesundheitsminister. Schon vorher verließ er sein Haus nicht ohne Personenschutz. Er teilte die neuesten Studienergebnisse auf X, vormals Twitter, und kommentierte: „Hier baut sich ein Problem auf.“

Quellen: Deutsches Zentrum für Hochschul- & Wissenschaftsforschung (DZHW), RBB, X Karl Lauterbach, mit Informationen der Nachrichtenagentur DPA